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Rechter Geländegewinn im Westen
Eine Broschüre zeigt Orte in Berlin auf, die neurechte Bewegungen in den vergangenen Jahren eingenommen haben
Ein Bismarck-Denkmal, ein Borussia-Monument und ein paar Meter weiter ein Kleist-Denkmal. Eine schöne deutsche Ecke. Auch die Villa Wild liegt hier, 1875 erbaut. Wenige Schritte entfernt liegt das Restaurant Bonverde. Hier trifft sich regelmäßig der Steglitz-Zehlendorfer Bezirksverband der AfD zum Stammtisch, auch der Landesverband schaut gerne mal vorbei. Auf Fotos vom 3. Januar von der Facebookseite des Bezirksverbands sind unter anderem der Landesvorsitzende Georg Pazderski und das ehemalige Fraktionsmitglied Andreas Wild zu sehen. Anderer Ort, anderer Bezirk: Im Charlottenburger Ratskeller feierte die Berliner AfD nicht nur 2016 ihre Wahlparty, sondern der Bezirksverband trifft sich dort auch regelmäßig zum Stammtisch.
Mit einer Broschüre hat sich die Sozialistische Jugend - Die Falken der Strategie der »Raumnahme der Neuen Rechten in Westberlin« befasst. Darin beleuchtet sie Orte wie das Bonverde und den Ratskeller, an denen die AfD regelmäßige Stammtische abhält, aber auch die Burschenschaft Gothia als Ort des Austauschs für neurechtes Gedankengut und die Bibliothek des Konservativmus, eine Denkfabrik und Zentrum neurechter Einrichtungen.
Im Gegensatz zu alten rechten Parteien und Gruppierungen findet sich die neurechte Bewegung in Berlin vor allem in Westberlin, heißt es in der Broschüre. Hier verzeichne die Neue Rechte immer mehr »Geländegewinne«. Dazu gehöre auch der Umzug der Redaktionsräume der Jungen Freiheit von Potsdam nach Wilmersdorf.
»Der Westen war als Ort rechter Raumnahme bisher nicht auf dem Radar«, sagt Valentin Domann, einer der Autoren der Broschüre. Das wolle er mit seiner Untersuchung ändern und auch nachbarschaftliche und antifaschistische Aktivitäten gegen diese Raumnahme aufzeigen.
Domann und sein Co-Autor Alexander Thom haben mit Hilfe der Berliner Register 41 Orte ermittelt, die zwischen 2012 und 2017 von neurechten Gruppen genutzt wurden. Die Autoren gehen allerdings von einer großen Dunkelziffer aus. Elf der 41 Orte wurden nur einmal genutzt. Zum Teil wurden die Gruppen, darunter auch Anhänger von Verschwörungstheorien, noch während dem ersten Treffen vor die Tür gesetzt. Bei 16 Orten untersagten die Betreiber der Veranstaltungsorte die Weiternutzung erst nach mehrmaliger Nutzung.
»In Charlottenburg gibt es beispielsweise viele Anhänger von Verschwörungstheorien, die sich zu regelmäßigen Stammtischen treffen«, sagt Domann. »Für Gastronomen ist das nicht immer erkennbar, und es ist auch nicht allen bewusst, dass viele der Gruppen rechtsoffen sind.«
Domann berichtet, wie sich Nachbarn zusammengesetzt und beraten haben, wie sie gegen einen solchen Stammtisch vorgehen können. Schließlich stellten sie Informationsmaterial zusammen und überreichten es dem Wirt. Als der den Stammtisch weiter gewähren ließ, verteilten Nachbarn Informationsmaterial in der Umgebung. Nachdem mehrere Gäste den Wirt auf die Gruppe angesprochen hatten, verbot er den Stammtisch.
Ein Problem sei, so Domann, dass viele Wirte nicht wüssten, wie sie sich verhalten sollen. »Gastronomen stecken in der Klemme: Sie sind ökonomisch auf Stammgäste angewiesen, andererseits schließt ein politischer Stammtisch andere Gruppen aus einem Lokal aus.« Für ihre Untersuchung sprachen die Autoren mit mehreren Gastwirten. Einige erzählten, dass die Reservierungen für Tische oft auf Privatnamen liefen. »Und dann packen sie im Gastraum die Fahne aus.« Um schon vorab zu klären, wer sich im eigenen Restaurant breit machen möchte, empfiehlt Domann Formulierungsvorschläge für Mietverträge der mobilen beratung gegen rechtsextremismus. Die hat auch eine 20-seitige Informationsbroschüre herausgegeben. Dort sind typisch rechte Kleidermarken aufgeführt, rechte Zahlencodes und für Rechte wichtige Daten.
Um Gastronomen aber nicht allein zu lassen, wünscht sich Domann vor allem eines: »Nachbarschaftliche Sensibilisierung«.
Sozialistische Jugend - Die Falken Berlin (Hrsg.): Machtergreifung beim Mettbrötchen, Raumnahme der Neuen Rechten in Westberlin, 2017.
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