Erdogans stählerne Rute

Die Kurden - verraten und verkauft. Gastbeitrag der LINKE-Bundestagsabgeordneten Helin Evrim Sommer

  • Helin Evrim Sommer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist die ewige Wiederkehr des Gleichen. Wieder werden die Kurden von den Großmächten fallen gelassen, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Sie befreiten weite Teile Syriens von den mordenden IS-Banden und werden nun selbst zur Zielscheibe.

Rojava ist der größte Dorn im Auge Erdogans, denn dieser Landstrich hat sich zu einem Gebiet entwickelt, in dem unter einer demokratischen Verwaltung Menschen multiethnisch und multireligiös friedlich miteinander leben. Das allein ist schon ein krasser Gegensatz zur türkischen Staatsdoktrin, die von einer Nation mit einer einzigen Religion und Sprache ausgeht. Aber schlimmer noch, dieses Gebilde wird von den Kurden verwaltet und militärisch geschützt. Das könnte für den Nahen Osten Vorbildcharakter haben. Für Erdogan ist das absolut inakzeptabel.

Helin Evrim Sommer
Helin Evrim Sommer ist LINKE-Politikerin kurdischer Abstammung. Von 1999 bis 2016 war sie Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und wurde 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags für die Linksfraktion.

Auf der einen Seite will Erdogan ein Exempel statuieren und die kurdischen Selbstbestimmungsansprüche auslöschen. Des weiteren glaubt er, dass der Norden Syriens ohnehin türkisches Staatsgebiet ist. Drittens will er die Türkei zum Hauptakteur im Nahen Osten machen. Und viertens, das wird immer wieder vergessen, will Erdogan mit diesem Krieg seine Wahl zum Alleinherrscher 2019 vorbereiten. Zum einen will er von den innenpolitischen Problemen ablenken, zum anderen Islamisten und Nationalisten durch einen gemeinsamen Feind und eine konstruierte Bedrohung einen.

Nun aber ziehen ausgerecht die Russen und die Amerikaner ihre schützenden Hände über Rojava ab. Rojava ist auch ein Spielball der imperialen Großmächte geworden. Russland hat offensichtlich einen Deal mit der Türkei geschlossen. Es deckt die türkische Offensive und hat seine Soldaten aus Afrin abgezogen. Das ist ein vorausblickender Schachzug, mit dem Russland die Türkei stärker an sich bindet. Ferner treibt Russland dadurch die USA in eine Zwickmühle. Amerika muss sich nun zwischen zwei Verbündeten entscheiden – der kurdischen YPG als effizienten Bodentruppen gegen den IS und dem NATO-Partner Türkei.

Der Krieg in Rojava und speziell um Afrin ist völlig asymmetrisch. Auf der einen Seite steht das hochgerüstete NATO-Mitgliedsland Türkei, dass auf die logistische und militärische Unterstützung seiner Partner zählen kann. Auf der anderen Seite steht Rojava, das nicht einmal über Militärflugzeuge verfügt. Schnell denkt man da an den Kampf von David gegen Goliath. Erdogan glaubt an ein schnelles Ende des Winzlings David. Beobachter allerdings schätzen, dass dies kein einfacher Sieg für ihn wird. Wenn überhaupt. Die Kämpfer in Rojava werden ihr Land mit aller Macht verteidigen.

Und was tut nun die Bundesregierung? Sie schenkt Erdogan Tee ein und lässt sonst nichts von sich hören. Wenn sie der Modernisierung türkischer Leopard-Kampfpanzer durch Rheinmetall zustimmt, unterstützt sie die Türkei sogar aktiv in ihrem Kampf gegen die Kurden. Während die Rede davon ist, Fluchtursachen zu bekämpfen, verdient sich Deutschland eine goldene Nase am Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Die Opfer dieses Krieges werden vor allem Zivilistinnen und Zivilisten sein, darunter auch Kinder. Das ist eine Schande.

Mehr noch, der Westen verrät seinen engsten Verbündeten im Antiterrorkampf im Nahen Osten. Dabei müsste der Westen moralisch den Kurden verpflichtet sein und sie uneingeschränkt unterstützen. Denn die Kurden haben im Nahen Osten die so oft beschworenen westlichen Werte verteidigt, viele haben dies mit dem Leben bezahlt. Sie treten ein für die Gleichberechtigung der Geschlechter und religiöse Toleranz. Nun aber sieht der Westen zu, wenn gegen Rojava Krieg geführt wird. Den NATO-Partner Türkei und die mit ihm verbündeten syrischen Terrormilizen lässt man einfach gewähren. Es geht hier um knallharte Waffengeschäfte. Profit und Macht zählen mehr als Menschenleben und westliche Werte. Die Kurden werden sich wieder einmal auf ihre eigenen Kräfte besinnen und sich selbst helfen müssen.

Erdogan nennt diesen Angriffskrieg euphemistisch »Operation Olivenzweig«: Der Olivenzweig ist seit der Antike ein Symbol des Frieden. Für die Menschen in Afrin bedeutet er in diesen Tagen Angst und Tod. In Wirklichkeit ist der Erdogansche Olivenzweig ein stählerner Rute, die vielen Menschen das Leben kosten wird.

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