- Politik
- 35-Stunden-Woche in Portugal
Staatliche Arbeitszeitverkürzung
Die portugisische Linksregierung hat die 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst wieder eingeführt
Auf Druck der Troika von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission wurden zwischen 2011 und 2014 Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in Portugal in nie dagewesener Weise dereguliert. So weitete die konservative Regierung die Arbeitszeiten deutlich aus: Im öffentlichen Dienst wurde die 35-Stunden-Woche auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich angehoben. Gestrichen wurden vier gesetzliche Feiertage, drei bezahlte Urlaubstage sowie die Ausgleichstage für Überstunden.
Mit ihrem Antritt im November 2015 versprach die linke Minderheitsregierung der Sozialisten, die von Linksblock und Kommunistischer Partei toleriert wird, mit dem Austeritätskurs ihrer Vorgänger zu brechen. Zentraler Bestandteil sollte eine Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Sektor sein. Doch bis heute ist erst eine der Maßnahmen der Konservativen vollständig zurückgenommen worden: die Streichung der Feiertage. Die Rückkehr zur 35-Stunden-Woche im öffentlichen Sektor wurde 2016 beschlossen, aber nicht für alle. Zudem darf die Arbeitszeitverkürzung den Haushalt nicht belasten. Die Folge ist ein Einstellungsstopp. Öffentliche Ämter reduzierten seither ihre Öffnungszeiten. Auf längere Sicht wird es jedoch kaum möglich sein, den regulären Betrieb von Behörden, Schulen und Krankenhäusern ohne Neueinstellungen aufrechtzuerhalten.
Problematisch ist auch, dass die Arbeitsverträge vieler Beschäftigter im öffentlichen Dienst unverändert blieben. Im Gesundheitsbereich beispielsweise hat nur ein Teil der Beschäftigten einen Tarifvertrag - und nur für sie wurde die Arbeitszeitverkürzung tatsächlich umgesetzt. Viele ArbeitnehmerInnen im Gesundheitswesen haben jedoch individuelle Verträge, die weiterhin die von der Vorgängerregierung eingeführte 40-Stunden-Woche enthalten.
Außerdem gibt es eine große Zahl an Beschäftigten in Krankenhäusern, die über Leiharbeitsagenturen angestellt sind - für sie hat es ebenfalls keine Reduzierung der Arbeitszeit gegeben, da die 35-Stunden-Woche ausschließlich für diejenigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst gilt, die unmittelbar in der Verwaltung tätig sind. Dies zeigt, dass fortschrittliche Maßnahmen im Bereich der Arbeitszeitverteilung nur dann greifen können, wenn zugleich prekäre Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt werden. Als Reaktion auf den Druck seitens der linken Parteien und Gewerkschaften hat die Regierung nun versprochen, individuelle Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst ab Mitte 2018 abzuschaffen.
Die Rückkehr zur 35-Stunden-Woche im öffentlichen Sektor hat in Portugal eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Die Rechte verteidigt die Ausweitung nach wie vor, um die Balance zwischen öffentlichem und privatem Sektor wiederherzustellen. Im Raum steht die tiefergehende Frage, welche Faktoren überhaupt zu einer Steigerung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der portugiesischen Wirtschaft führen. Die Linke hat diese Debatte noch lange nicht gewonnen. Hier prallen konservative und progressive Ansichten zur gesellschaftlichen Organisation von Arbeit aufeinander. Auch wenn die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung keine direkte Auswirkung auf den Privatsektor hatte, so lässt sich gleichwohl konstatieren, dass sie zumindest eine offene politische Debatte über Arbeit und Arbeitsrecht ermöglicht hat. Die Gewerkschaften halten nach wie vor an ihrer Forderung nach einer 35-Stunden-Woche im öffentlichen wie auch im privaten Sektor fest.
Weitere Arbeitszeitmaßnahmen der Troika-Regierung wurden bisher nicht angetastet. Hinsichtlich der drei bezahlten Urlaubstage fordert der marxistische Linksblock eine Rückkehr zur bis 2011 geltenden Gesetzeslage, wonach ArbeitnehmerInnen bei Erfüllung eines Anwesenheitsmindestsolls einen Anspruch auf drei zusätzliche freie Tage und damit insgesamt 25 Tage Urlaub pro Jahr hatten. Allerdings sollen diese Tage künftig allen ArbeitnehmerInnen auch ohne Mindestsoll zustehen. Die Regierung der Sozialistischen Partei lehnt diesen Vorschlag jedoch ab und hat ihn zur Beratung an den »gesellschaftlichen Dialog« weiterdelegiert. Darunter versteht man einen von der portugiesischen Verfassung vorgesehenen Mechanismus, bei dem Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung am runden Tisch Einigungen erzielen sollen.
Der Linksblock fordert darüber hinaus weitere Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung. Derzeit haben Eltern eines bis zu zwei Jahre alten Kindes Anspruch auf eine Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden pro Tag. Allerdings muss das Kind noch gestillt werden, was die Eltern nachweisen müssen. Die Linken möchten diese Regelung auf Kinder bis zum Alter von drei Jahren ausweiten, unabhängig davon, ob sie gestillt werden.
Der Linksblock hat eine Kampagne unter dem Titel »Troika raus aus den Arbeitsbeziehungen« ausgerufen. Doch das wird nicht reichen, da das portugiesische Arbeitsrecht schon vor diesen Krisenjahren große Schwächen hatte. Die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes muss eine effektive Arbeitszeitverkürzung, ein Ende prekärer Beschäftigungsverhältnisse und eine Rückkehr zu Tarifverträgen, Lohnsteigerungen, eine Aufstockung des Arbeitslosengelds sowie einen Plan zur Umstrukturierung des produktiven Sektors beinhalten. Es wird eine noch viel breitere gewerkschaftliche, gesellschaftliche und politische Mobilisierung nötig sein, ehe in Portugal tatsächlich vom Ende der Austerität gesprochen werden kann.
Eine Langfassung dieser Untersuchung für die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird ab dem Wochenende im Arbeitszeit-Dossier der Stiftung veröffentlicht: www.rosalux.de/dossiers/kaempfe-um-arbeitszeit
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