• Kultur
  • Alice-Salomon-Hochschule in Berlin

Hier könnte ein Gedicht stehen

Jürgen Amendt über die Entfernung von Lyrik wegen Sexismus und die Selbstermächtigung der politischen Egomanen

  • Lesedauer: 2 Min.

Wir müssen an dieser Stelle noch einmal auf die Causa Gomringer respektive auf den Vorfall an der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin zurückkommen. Dort wurde, wie in den vergangenen Tagen berichtet, vom Akademischen Senat der Hochschule entschieden, ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer überpinseln zu lassen und durch ein anderes Poem zu ersetzen.

Diese Entscheidung hat eine Vorgeschichte: Studentinnen haben sich den Verlautbarungen der Hochschule zufolge durch das Gedicht unangenehm an sexuelle Belästigung erinnert gefühlt; zudem stünden die Verszeilen in einer patriarchalen Kunsttradition, in der Frauen männlichen Künstlern als schöne Musen dienten. So jedenfalls begründete der AStA der ASH seinen Antrag auf Entfernung des Gedichts.

Verschiedentlich war in den vergangenen Tagen davon die Rede, der Beschluss der Berliner Hochschule sei ein Akt der Zensur und ein Eingriff in die Kunstfreiheit. Dem muss entgegnet werden: Dies Vorwürfe sind zumindest überzogen. Selbstverständlich kann eine Hochschule wie jede andere Institution (und jede Privatperson) frei darüber bestimmen, welches Gedicht sie an ihre Wände pinseln lässt. Das Gedicht verschwindet mit der Überpinselung nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein; es kann weiterhin verbreitet und gelesen werden. Auch kann der Dichter weiterhin ungestört arbeiten.

Was stimmt, ist allerdings dies: Hinter der Entscheidung des Akademischen Senats der Alice-Salomon-Hochschule steht eine bestimmte Haltung, die einer narzisstischen Kränkung entspringt. Die, die von dieser Kränkung befallen sind, kennen keine Duldung (also keine Toleranz) anderer Sichtweisen und werten alles, von dem sie eine andere Meinung haben, als persönlichen Angriff, auf den sie mit Abwertung und der Forderung reagieren, das, was sie störe, möge bitteschön entfernt werden. Dieser Selbstermächtigung der politischen Egomanen hat die Hochschulleitung nachgegeben. Das ist das wirklich Bedenkliche an diesem Vorgang. jam

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.