Ägypten den Ägyptern! Egypt first!
An der Oper in Halle inszenierte Michael von zur Mühlen Giuseppe Verdis »Aida« als Folie für den aktuellen Diskurs
Wohl dem, der Peter Konwitschnys Grazer »Aida« (in Meiningen oder Leipzig) gesehen hat. Der ersetzte das dümmlich hoppelnde Folklore-Ballett nach dem Triumph über die barbarischen Horden der Feinde durch einen Schüttelfrost-Anfall der Kriegsherren. Und den finalen Erstickungstod des Liebespaares durch die Flucht seiner Protagonisten aus dem Stück und dem jeweiligen Opernhaus auf die Plätze davor. Man sah, was man hörte. Diese nachhaltige Parteinahme für Verdis »Aida« gilt immer noch. Deren Prunkvariante à la Zeffirelli gilt auf der anderen Seite als Inbegriff von Inszenierungskitsch. Diverse Vergegenwärtigungsversuche sind die Bewegungsform für diesen Widerspruch. Und sie misslingen meistens - besonders krachend bei den vorigen Salzburger Festspielen. Konwitschny und davor Hans Neuenfels haben mit ihren »Aida«-Deutungen Musiktheatergeschichte geschrieben. So etwas ist offenbar nicht wiederholbar.
Michael von zur Mühlen hat das Werk jetzt als historisches Produkt und als Folie für einen Diskurs zu den brennenden Fragen der Gegenwart ins Visier genommen. Offensichtlich mit der Absicht, dem zu folgen, was Heiner Müller im Gespräch mit Alexander Kluge in einer Videoeinspielung sagt: dass Theater nur überlebt, wenn es den Fokus nicht auf das Produkt legt, sondern auf den Prozess. Das stimmt im Prinzip. Anderseits erwartet das Publikum ein jeweils fertiges Produkt: Oper als Gesamtkunstwerk. Das ist schwer genug mit Geschichten, die schon im vorvorigen Jahrhundert mit der Vergangenheit spielten und so ihre Gegenwart überblendeten. Im Uraufführungsjahr 1871 etwa gab es in Kairo etwas zu feiern. Und die Deutschen gewannen ihren Krieg und bekamen ihr Kaiserreich.
Ein Teil der Inszenierung sind die Prospekte der Pariser »Aida«-Erstaufführung von 1880 zwischen den Fotokopien des Portals der Halleschen Oper aus der Vorkriegszeit. Inklusive des Gestenrepertoires von damals. Spielbein, Standbein. Arme hoch, Blick nach unten. Rampe. Jeder macht seins. Und kassiert seinen Applaus. Die Claqueure sitzen im Saal und machen (mitinszeniert, aber nicht gleich als solche erkennbar) ihren Job.
Ausstatter Christoph Ernst hat zwar nicht auch noch die alten »Aida«-Kostüme nachschneidern lassen, aber die Sängercrew in die Mode der Zeit gesteckt. Das hat einen Effekt zwischen Atmosphäre, Ironie - und Drohung. Dass jemand so etwas wie zur Uraufführung sehen will, wird wohl nach dieser Vorstellung niemand mehr im Ernst verlangen. Diese Dosis genügt. Aber es geht ja (zumal wenn ein ambitionierter Dramaturg inszeniert) um die Tauglichkeit der alten Vorlagen für den Diskurs der Gegenwart. So halten sich die Ägypter und Äthiopier im Stück gegenseitig für barbarische Horden. Da schenkt keiner dem anderen was. Und so erkennt man den Unterschied zwischen den Siegern und Besiegten nach dem Feldzug gar nicht. Muss man auch nicht. Den wutbürgerlichen Ausbruch des einen Ägypters, den erkennt man schon. Ägypten den Ägyptern! Egypt first! Da verselbstständigt sich der als Ägypter-Fußvolk skizzierte Chor im Aktionismus. So wie bei den kleinen Rempeleien, mit denen die Ballettmusik mehr desavouiert als aufgegriffen wird.
Das ist wohlbedachte, polemische Absicht, nicht Unvermögen der Regie. Unterlaufene Klischees sind das eine, zur Kunstform Oper gehörige und auch so rezipierte. Die eingeflüsterten modephilosophisch daherkommenden Texte aus dem Off müssten aber eigentlich (wenn man sie nicht wie bei Macrons eingespieltem Europa-Plädoyer erfassen kann) in Theater übersetzt werden. Hier sind sie nur eingespielte Wortmusik.
So bleibt der Zugang zwar deutlich erkennbar, auf dem Weg zum Gesamtkunstwerk aber noch jede Menge Platz. Den füllt die Musik. Mit der Staatskapelle Halle unter ihrem Generalmusikdirektor Josep Caballé-Domenech, dem mit Extrachor verstärkten Opernchor (Rustam Samedov und Peter Schedding) und einem Protagonisten-Ensemble, das sich hören lassen kann. Yannick Muriel Noah (Aida), Magnus Vigilus (Radamès), Vladislav Solodyagin (Ramphis) und Svitlana Slyvia (Amneris) wurden besonders gefeiert. Für das Regieteam gab es die obligaten Buhs.
Nächste Vorstellung: 28. Januar
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