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Klimaschutzpolitik bietet Chancen für die Wirtschaft
SPD-Politikerin Nina Scheer im Gespräch über die Folgen eines vernachlässigten Umweltschutzes und die Große Koalition
Die Koalitionsverhandlungen sind gestartet. Wo muss aus ihrer Sicht beim Thema Klima und Energie noch nachgebessert werden?
Das Sondierungspapier enthält noch einige Widersprüche. Zum einen wird gesagt, dass man am Klimaschutzziel 2020 festhält - zum anderen, dass man die Klimaschutz-Lücke so weit wie möglich schließen möchte. Mit diesem Einfallstor könnten positive Ansätze im Papier infrage gestellt werden. Es bedarf einer unmissverständlichen Aussage zum 2020-Ziel.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer fordert ein klares Bekenntnis zum Klimaschutzziel 2020 und erklärt, warum man den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht von der Netzkapazität abhängig machen sollte und den Menschen in den Kohlerevieren keinen Gefallen damit tut, den Kohleausstieg auf die lange Bank zu schieben. Mit ihr sprach für »nd« Benjamin von Brackel.
Wie soll das Ziel noch erreicht werden? Sollte eine Strukturwandelkommission, sagen wir, Ende 2018 Vorschläge zum Kohleausstieg vorlegen, bliebe nur noch weniger als ein Jahr Zeit.
Die Zeit wird knapp, das stimmt. Aber es gibt sehr wohl noch die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen - es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Dabei kann die Strukturwandelkommission durchaus ein Risikofaktor werden, weil sie erst einmal Zeit brauchen wird, um in einen Arbeitsmodus zu kommen. Und je nach Besetzung der Kommission könnten manche Vertreter ein Interesse haben, möglichst lange eine Einigung hinauszuzögern. Das darf auf keinen Fall passieren. Deshalb braucht es einen klaren Fahrplan, der rein zeitlich nicht ausschließt, dass das 2020-Klimaziel noch erreicht werden kann.
Unsere Nachbarländer wie Frankreich, die Niederlande oder Großbritannien haben sich längst auf einen Fahrplan für einen Kohleausstieg verständigt - warum schiebt Deutschland diese Frage auf die lange Bank?
Es ist auch für mich nicht verständlich. Wir müssen diese Aufgabe endlich als Chance begreifen und nicht als Belastung. Gerade als Exportnation und in Kooperation mit unseren Nachbarländern können mit Hilfe neuer Zukunftstechnologien neue Wirtschaftsstandorte aufgebaut werden.
Mit dieser Sicht müssen Sie erstmal Ihre eigene Partei überzeugen. Sigmar Gabriel hatte unlängst gemahnt, die SPD habe in der Vergangenheit das Augenmerk zu stark auf Umweltpolitik und zu wenig auf das sozialdemokratische Kernthema Industriepolitik gelegt. Ist das die neue Linie der SPD?
Das Kernthema ist Gerechtigkeits- und Teilhabepolitik - und da landet man unmittelbar beim Ressourcen- und Klimaschutz. Das ist also kein Gegensatz und es ist fatal, da einen Gegensatz zu konstruieren. Klimaschutzpolitik bietet Chancen für die Wirtschaft. Je zaghafter wir Klimaschutz betreiben, desto eher laufen wir Gefahr, dass Schlüsseltechnologien von morgen nicht mehr Made in Germany oder«Made in Europe sind. Das heißt: Den Klimaschutz zu vernachlässigen hat auch dramatische Folgen für unsere Wirtschaft - ganz zu schweigen von den Folgen des Klimawandels. Wenn man in die Antragsbücher für Bundesparteitage der SPD schaut, findet man diese Linie übrigens durchaus wieder.
Wo sehen Sie neben dem Klimaziel weiteren Bedarf für Nachbesserungen?
Überarbeitung braucht es beim Ausbau der Erneuerbaren. Im Sondierungspapier wurde zwar der Ausbau-Deckel faktisch getilgt. Denn bis 2030 sollen »etwa« 65 Prozent Erneuerbare im Stromsektor erreicht werden, heißt es. Wichtig ist, auf eine Maximalgrenze im Sinne eines Ausbaus »bis zu« verzichten. Denn das birgt auch Unsicherheiten für Investoren. Ein Widerspruch besteht allerdings zwischen der Forderung, zusätzliche Ausschreibungen auf den Weg zu bringen, aber das von den Netzkapazitäten abhängig zu machen. Solche Begrenzungen können wir uns klima- und ressourcenpolitisch nicht leisten, sie lähmen Investoren und sind auch noch sachlich verfehlt. Die Entwicklung und der Einsatz von Netznutzungsoptimierung, Sektorkopplung und Speichern fällt nicht vom Himmel, sondern muss durch entsprechende Rahmenbedingungen angereizt werden. Das Junktim fehlender Netze verhindert das.
Was meinen Sie konkret?
Strom aus Erneuerbaren Energien ließe sich etwa in Wasserstoff umwandeln und kann auf verschiedenste andere Weise zwischengespeichert werden. Außerdem ließen sich die bestehenden Netze noch viel besser auslasten. Für eine Energiewende und auch für den Verkehrs- und Wärmebereich brauchen wir Anreize und keine Haltelinien. Eine Kongruenz vorzugeben zwischen Netzkapazität und dem Ausbau Erneuerbarer Energien ist das Gegenteil dessen und wirft uns zurück.
Glauben Sie wirklich, dass es noch zu Nachbesserungen kommt? Schließlich ist der Katalog für Nachforderungen schon lang, Stichwort sachgrundlose Befristung, Familiennachzug, Besserstellung der Krankenversicherten. Da bleibt doch wohl keine Verhandlungsmasse mehr für Klima und Energie?
Es ist im Interesse beider großen Parteien, wenn wir die angstbesetzte Perspektive hinter uns lassen, was die Arbeitsplätze in der fossilen Energiewirtschaft angeht. Wir brauchen eine Lösung für die Menschen in den Regionen. Ich denke an die »neue Seidenstraße« - die Zugverbindung zwischen Duisburg und China, die derzeit optimiert wird und die allein ein paar tausend neue Arbeitsplätze in den Kohlerevieren schaffen kann. Und das ist nur ein Beispiel. Ich denke an Speichertechnologien, unterschiedlichste Nutzungsformen Erneuerbarer Energien, ökologische Baustoffe, Wasserstoffnutzung oder auch die Ökologisierung der Verpackungsindustrie. In einem sozial-ökologischen Strukturwandel stecken immense Neuerungspotenziale, die so viele Arbeitskräfte bündeln werden, dass der Ausstieg aus herkömmlicher Energiegewinnung nicht zulasten, sondern zugunsten der Arbeitnehmer ausgestaltet werden kann. Man muss den Weitblick nur konsequent im Hier und Jetzt anwenden. Das verlangt etwa auch das Klimakapitel im neuen Elyseevertrag. Es gibt genug aktuelle Anlässe, die alten Denkmuster über Bord zu werfen, mit denen sich auch die letzte Große Koalition gelähmt hatte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat einen europaweiten CO2-Preis gefordert, die SPD hat sich erst angeschlossen - in den Sondierungen fiel der »sektorübergreifende CO2-Preis« aber wieder raus. Was ist da passiert?
Ein CO2-Preis, noch besser eine Bepreisung von Schadstoffen, hätte einen starken Lenkungseffekt in Richtung Energiewende und Klimaschutz. Parallel brauchen wir Konjunkturprogramme für die Regionen, in denen sich heute solche Arbeitsplätze konzentrieren, die dann wegfallen. Mit Hilfe von politischen Lenkungseffekten und Programmen vor Ort gilt es, Verwerfungen zu vermeiden. Zugleich entstehen damit neue Arbeitsplätze; es wird also auf den Übergang ankommen. Und es ist ja ein Irrwitz: Alle reden von Fachkräfte- und Kräftemangel, aber die Arbeiter in den Kohlerevieren werden aus Angst vor dem Wandel in sterbenden Branchen gehalten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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