Gute Recherchen reichen nicht

Das neue Schweizer Online-Magazin »Republik« verspricht höchste journalistische Standards, zeigt aber Schwächen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie legen sich ins Zeug für die »Demokratie« und haben dafür sehr viel erhalten. Sie haben jahrelang am juristischen und wirtschaftlichen Konzept für ein neues journalistisches Format mit höchstem Anspruch gefeilt. Nun ist das Schweizer Online-Magazin »Republik« in der Welt. Täglich will das Mitte Januar gestartete Magazin einen bis drei Artikel veröffentlichen.

In einem der ersten, »Zuckerbergs Monster«, wird ausführlich und spannend erzählt, wie Facebook im Lauf der Jahre zur perfekten Desinformationsmaschine geworden ist, die wohl nicht mal mehr ihr Erfinder kontrollieren kann. Da »Republik« generell kostspielige Recherchen angekündigt hat - sie sind im Budget fest eingeplant -, macht das Lust auf weitere lange Texte.

Dass viele Texte lang sein werden, ist bereits angekündigt. Es soll auch kurze geben, als schnelle Reaktionen auf Aktuelles. Aber über allem steht die Richtlinie: Wir lassen uns von nichts und niemandem etwas aufzwingen, das nicht journalistisch überzeugt.

Schon im vergangenen Frühjahr hauten die Zürcher Gründer, die nicht nur, wie die erfahrenen Journalisten Christof Moser und Constantin Seibt, aus der Medienbranche kommen, auf den Putz: Das Schweizer Mediensystem sei »pervertiert« und könne nicht mehr wirklich demokratisch wirken, denn es sei von Tempozwang, Stellenstreichungen und Zusammenlegungen geprägt; die Verlage wandelten sich in »Internet-Handelshäuser«. Bei »Republik« hingegen sollen nur Inhalte zählen.

Die gewissenhafte journalistische Arbeit soll sich mittelfristig selbst tragen. Zuerst aber wurden zahlungskräftige Investoren gefunden, die formal kaum Macht haben werden. Sie sorgten für eine »Anschubfinanzierung« von 3,5 Millionen Franken (rund 3 Millionen Euro). Dann wurde ein sensationell erfolgreiches Crowdfunding gemacht: Schon am ersten Tag zahlten über 3000 Menschen das 240 Franken teure Jahresabo, mittlerweile zählt das Magazin über 17 000 Abonnenten.

Journalistische Freiheit und finanzielle Abgesichertheit sollen durch eine Doppelstruktur garantiert werden: Neben der Firma, die den Journalismus besorgt und der dabei nicht reingeredet werden kann, gibt es eine Genossenschaft, die für Ausbildung, Experimente und quelloffene IT-Entwicklung zuständig ist.

Eine Besonderheit von »Republik« ist, dass auf der Startseite kein Artikel frei lesbar ist. Wer kein Abo hat, muss auf einem anderen Weg einen Direktlink zu einem Artikel erhalten - ein eigenwilliges Konzept, das auf der Startseite nicht erklärt ist und so wahrscheinlich für Irritationen sorgen wird.

Für Irritationen sorgt auch der Artikel »Der Schrecken der Nächte«. Er feiert Angela Merkel als tolle Verhandlerin. Ob in Berlin, Brüssel oder Minsk - sie sei problemorientiert, auf Ausgleich bedacht, kompromissbereit, super vorbereitet, detailversessen, führe lange Gespräche, komme mit wenig Schlaf aus und wolle die Gegenseite das Gesicht wahren lassen. Kurz: Sie sei »rational«. Der Autor zeigt implizit (und vielleicht unabsichtlich), warum mächtige Kreise es so befürworten, dass Frauen mehr Führungspositionen einnehmen. Zwischen den Zeilen schimmert allzu deutlich die Nähe des Verfassers zur politischen Macht durch. Das ist für ein Magazin, das unabhängig sein will, problematisch. Von der in vielen Bereichen fatalen Politik der Merkel-Regierungen enthält der Artikel kein Wort.

In den Bereich »Küchenpsychologie« dürfte der Artikel von »Repu᠆blik«-Mitgründer Constantin Seibt über die Irrationalität des Menschen in politischen Dingen fallen. Seibt stellt Linke, Linksliberale, Progressive, »mit ihrem vergrößerten Präfrontallappen für Neugier und Planung«, den Rechten und Konservativen gegenüber. Letztere besitzen, so Seibt, einen »vergrößerten rechten Mandelkern«, seien deshalb »reizbar durch alles, deshalb dankbar für Klarheit, Loyalität, Festigkeit, einen Platz im Leben«. Beide Seiten seien von Gefühlen und unbewussten Prägungen geleitet und glaubten vor allem das, was in ihre jeweilige Weltsicht passe.

Dass »Republik« sich gleich zu Beginn nicht an den aufklärerischen Auftrag hält, den sich das Magazin in einem kleinen »Manifest« gegeben hat, sondern Pseudo-Erkenntnisse aus Laboruntersuchungen an die Stelle von historisch-politischer Analyse setzt, ist ein schlechtes Vorzeichen.

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