Jemens Regierung vor dem Sturz
Milizen des »Südlichen Übergangsrats« kontrollieren Jemens Interimshauptstadt Aden
Bis zum Dienstagmittag hatten die Milizen fast die gesamte Hafenstadt Aden erobert; das Militär hatte sich bereits am Montag weitgehend aus der Stadt zurückgezogen und die Kräfte rund um den provisorischen Sitz der international anerkannten Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi konzentriert - erfolglos: Schon in der Nacht zum Dienstag rückten die Milizionäre auch dort vor, umstellten bis zum Morgen den »Regierungspalast«.
Die Milizen, die in internationalen Medien überwiegend als »Separatisten« bezeichnet werden, verstehen sich selbst als militärischer Flügel des »Südlichen Übergangsrats« (SÜR), einer 2017 gegründeten 26-köpfigen Gruppe von Gouverneuren, Mitgliedern der Hadi-Regierung, Akademikern, Journalisten, der für eine Wiederaufspaltung Jemens in einen Nord- und einen Südstaat eintritt. An der Spitze steht der einstige Gouverneur von Aden, Aidarus Zubaidi, ein früherer Vertrauter Hadis.
»Aus unserer Sicht ist dies die einzige Lösung für den Krieg in unserem Land«, sagt Lutfi Schatara, Journalist und SÜR-Funktionär, in einem Telefonat. Die Regierung unter Führung Hadis »stellt zudem ständig unter Beweis, dass sie keinerlei Kontrolle hat«. Und Zubaidi erklärte in jemenitischen Medien, der Sturz der Regierung sei das Ziel.
Tatsächlich war der Einflussbereich der offiziellen Regierung vor Ausbruch der Kämpfe auf einen Bruchteil des Landes begrenzt: Selbst in den Gebieten, die von der internationalen Gemeinschaft offiziell unter Regierungskontrolle gesehen werden, hat in der Realität eine riesige Zahl von Bürgerwehren das Sagen; in den Wüstenregionen in Richtung Oman haben sich zudem Gruppen eine Basis aufgebaut, die sich selbst Al Qaida oder dem Islamischen Staat zuordnen. In der Selbstdarstellung des SÜR, der bis vor wenigen Tagen nur eine von diesen vielen Gruppen war, ist man nun aufmarschiert, um all das zu beenden, und den Menschen in Jemen Frieden zu bringen.
Doch die Realität ist um ein Vielfaches komplexer: Finanziert und ausgerüstet von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) wurden über Jahre hinweg systematisch Kämpfer rekrutiert, ausgebildet, mit modernen Waffen versorgt. Nach der Gründung des SÜR wurden dessen Funktionäre in den VAE hofiert; Sprecher der VAE-Regierung erklären, man unterstütze den SÜR, »um die Regierung Jemens zu stärken, und für Sicherheit und Stabilität zu sorgen.«
Offiziell gehören die VAE der internationalen Militärallianz an, die unter Führung von Saudi-Arabien die Huthi-Milizen bekämpft, die fast das gesamte einstige Nordjemen rund um die Hauptstadt Sana‘a mit Luftangriffen bekämpft. Doch tatsächlich sind Truppen der VAE, deren Soldaten sehr oft in Südamerika rekrutiert wurden, vor allem im Süden aktiv, sollen dort offiziell Al Qaida bekämpfen. Gleichzeitig haben die VAE dort aber auch Öl- und Gasförderanlagen und Häfen besetzt; die Insel Sokotra befindet sich komplett unter VAE-Kontrolle. Mehrfach beklagte Hadi, die VAE benähmen sich wie Besatzer. Die Regierung der VAE lässt indes kaum eine Gelegenheit aus, um deutlich zu machen, dass man Hadi und seine Gefolgschaft für korrupt hält. In der vergangenen Woche wurde Hadi von VAE-Regierungschef Mohammad bin Raschid al -Maktum als »inkompetent« bezeichnet; Jemen brauche eine neue Regierung.
Hadi hält sich seit Jahren in Saudi-Arabien auf; die Geschäfte vor Ort führt Regierungschef Ahmed Obeid bin Dagher, der bislang, auch auf Druck Saudi-Arabiens, die Existenz des SÜR im eigenen Kabinett duldete: Riad versuchte bis zuletzt, die offensichtlichen Spannungen mit den VAE zu überpinseln.
Doch man bekommt die Lage nicht in den Griff: Im Norden sitzen die Huthi fest im Sattel. Nachdem im Dezember Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh von Huthi-Milizen erschossen worden war, hatte man in Saudi-Arabien mit anhaltenden Kämpfen mit Saleh-treuen Milizen gerechnet. Doch man einigte sich schnell auf eine weitere Zusammenarbeit: Eine Annäherung an Saudi-Arabien wird auch von Saleh-Gefolgsleuten nicht als Option betrachtet.
SÜR-Chef Zubaidi erklärte am Dienstag, man habe »kein Problem« mit den Huthi-Milizen: »Zwei Länder für zwei Systeme, die zusammen arbeiten, das ist es, was wir wollen.«
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