- Kommentare
- ePrivacy
Verfolgungsjagd im Internet
Birgit Sippel will mehr Privatsphäre im Netz - die ePrivacy-Reform in der Europäischen Union könnte dafür sorgen
Lieber Leser, liebe Leserin, lesen Sie diese Zeilen gerade auf echtem Papier oder online? Im letzteren Fall können Sie ziemlich sicher sein, dass genau jetzt ein virtuelles Wettbieten darum stattfindet, wer Ihnen im Internet seine Werbung zeigen darf. Glückwunsch, Sie sind ein Produkt - ein ziemlich wertvolles sogar.
Das finden Sie nicht gut? Das Europäische Parlament auch nicht. Im Januar 2017 hat die EU-Kommission dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten einen Vorschlag für eine Verordnung zum Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation vorgelegt, kurz ePrivacy. Dieser soll die Regeln zum Schutz der Vertraulichkeit EU-weit verbessern. Ein Beispiel: Wenn Sie heute eine SMS verschicken, werden diese durch EU-Regeln geschützt (etwa dürfen Dritte nicht einfach mitlesen). Wenn Sie aber eine WhatsApp-Nachricht versenden, gilt dieser Schutz nicht. Ein anderes Beispiel ist das eingangs erwähnte Tracking im Internet, das oft ohne Wissen und ohne echte Einwilligung der Nutzer erfolgt.
Elektronische Kommunikationsmittel sind heute Grundvoraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs. Die Grenzenlosigkeit des Internets hat die Grenzen unserer eigenen Welt verschoben - und zugleich neue Risiken gebracht, nicht nur hinsichtlich »fake news« und Hassreden: Grenzenlose Kommunikation darf nicht zu grenzenloser Überwachung durch Unternehmen oder Regierungen, zur Abschaffung von Privatsphäre, Meinungsfreiheit und damit letztendlich der Demokratie führen. Privatsphäre ist ein europäisches Grundrecht. Es ist daher Aufgabe der Politik, den Einzelnen auch in der Onlinewelt zu schützen.
Kernpunkt der Reform ist die Stärkung der Nutzerrechte für mehr Kontrolle im Netz. Das widerspricht dem Gewinninteresse vieler Unternehmen. Denn wenn Nutzer mehr Mitsprache bekommen, können sie leichter Nein sagen. Gegenwind kommt aber nicht nur von vielen Datenunternehmen, sondern auch von einigen Medienhäusern. Gerade in Deutschland profitieren viele Onlinemedien von einer rechtlichen Lücke: Nutzer sehen auf einer Website ein Cookie-Banner, surfen weiter - und haben damit ihre »Zustimmung« zum Tracking gegeben.
Werbung ist eine wichtige Einnahmequelle für Medien und die ePrivacy-Verordnung will sie nicht per se verbieten. Aber die jetzige Form der überwachungsgesteuerten Werbung ohne echte Zustimmung der Nutzer ist inakzeptabel. Mit Beginn der Anwendbarkeit der EU-Datenschutzverordnung ab Mai wird dieses Modell hinfällig - das dürfen wir bei der ePrivacy-Reform nicht wieder aufs Spiel setzen. Die wirtschaftliche Krise vieler Medien ist ein ernstes Problem. Wir lösen es aber nicht durch die Ausnutzung rechtlicher Grauzonen oder Umgehung von Privacy-Regeln.
Um Nutzer besser vor Tracking im Internet zu schützen, macht sich das EU-Parlament für das Prinzip von »Privacy by design« stark: Browser und Apps sollen so Privatsphäre-freundlich wie möglich voreingestellt sein. Zwar kann man Browser auch heute schon anweisen, im Netz nicht verfolgt zu werden. Aber das ist oft sehr kompliziert. »Privacy by design« ist auch eine Frage der Gerechtigkeit: Jeder Mensch soll sich frei und sicher im Internet bewegen können, unabhängig von Alter, Bildung, Geldbeutel und technischem Wissen.
Zudem fordert das Europäische Parlament ein Verbot sogenannter Tracking walls: Der Zugang zu einer Website soll nicht von der Zustimmung zur Onlineverfolgung abhängen. Weitere wichtige Aspekte sind die Verpflichtung zur Verschlüsselung und eine klare Absage an eine Neuauflage der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. Es gibt derzeit nämlich Diskussionen zwischen den EU-Staaten, die Speicherung quasi durch die Hintertür in der ePrivacy-Reform wieder EU-weit einzuführen. Das ist nicht akzeptabel! Die Vorratsdatenspeicherung, wie wir sie heute kennen, als anlasslose Überwachung aller Menschen ohne jegliche Differenzierung, etwa nach geografischem Gebiet oder Zeitraum, ist mit europäischen Grundrechten unvereinbar.
Das Parlament hat seine Position festgelegt. Aber die EU-Mitglieder lassen sich Zeit - auch Deutschland: Ein Jahr lang tagte die zuständige Ratsarbeitsgruppe mehrfach, ohne zu einer Positionierung zu kommen. Ohne eine Position der Mitgliedstaaten können die Verhandlungen jedoch nicht beginnen. Ab Mai 2018 wird endlich die EU-Datenschutzverordnung Anwendung finden - es ist wichtig, dass wir ergänzend möglichst schnell mit starken Regeln für den Schutz der Privatsphäre in der Onlinewelt nachziehen!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.