- Politik
- SPD-Chaos vor Großer Koalition
Schulz verzichtet auf Außenministerium
Begründung: Unzufriedenheit an der SPD-Basis und Sorge vor Mitgliederentscheid / Nahles spricht von »menschlicher Größe« / LINKE kritisiert Personalstreit
Berlin. Der scheidende SPD-Chef Martin Schulz verzichtet nach massivem Druck aus den eigenen Reihen auf das Außenministerium in einer großen Koalition. Schulz erklärte am Freitag in Berlin, durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreiches Votum der SPD-Mitglieder für eine neue große Koalition als gefährdet an. »Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind.« Hintergrund für die Entscheidung ist offensichtlich der Unmut an der SPD-Basis und besonders im größten Landesverband Nordrhein-Westfalen über Schulz, der ursprünglich erklärt hatte, nicht in eine Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutreten.
Schulz erklärte, der von ihm gemeinsam mit der SPD-Parteispitze ausgehandelte Koalitionsvertrag könne in sehr vielen Bereichen das Leben der Menschen verbessern. »Ich habe immer betont, dass - sollten wir in eine Koalition eintreten - wir das nur tun, wenn unsere sozialdemokratischen Forderungen nach Verbesserungen bei Bildung, Pflege, Rente, Arbeit und Steuer Einzug in diesen Vertrag finden. Ich bin stolz sagen zu können, dass das der Fall ist.« Insbesondere die die Neuausrichtung der Europapolitik sei ein großer Erfolg. »Umso mehr ist es für mich von höchster Bedeutung, dass die Mitglieder der SPD beim Mitgliedervotum für diesen Vertrag stimmen, weil sie von dessen Inhalten genauso überzeugt sind, wie ich es bin.«
Nahles: Rückzug zeugt von »menschlicher Größe«
Die designierte SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat den Entschluss mit großem Respekt aufgenommen. »Wir alle wissen, wie schwer ihm diese Entscheidung nun gefallen ist, sich persönlich zurückzunehmen. Das zeugt von beachtlicher menschlicher Größe«, erklärte die Chefin der Bundestagsfraktion am Freitag in Berlin. »Die Entscheidung von Martin Schulz verdient höchsten Respekt und Anerkennung.« Mit Schulz an der Spitze habe die SPD einen großen Erfolg in den Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU erzielt. »Er selbst hat einen Durchbruch für eine neue Europapolitik erreicht.« Nahles gehe davon aus, »dass wir uns jetzt voll und ganz auf die inhaltliche Debatte konzentrieren.«
LINKE: »SPD wird dieser Schritt nicht helfen«
Aus der Linkspartei wurde der Rückzug kritisch kommentiert. »Es wäre besser gewesen, Schulz hätte diese richtige Entscheidung souverän selbst getroffen und nicht erst unter Druck«, sagte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Der SPD wird dieser Schritt aber auch nicht viel helfen.« Viel problematischer als die Personalie Schulz sei der ausgehandelte Koalitionsvertrag. Dessen Umsetzung werde das Leben von Arbeitnehmern, Rentnern oder Pflegebedürftigen in Deutschland nicht verbessern und an der wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheit nicht das Geringste ändern. »Sozialdemokratische Politik sieht anders aus.«
Auch LINKE-Chefin Katja Kipping fürchtet, dass die politischen Inhalte des Koalitionsvertrags durch die Personaldebatte in den Hintergrund gerückt würden. »Wenn es um ihre Ministerposten geht, gehen mit den führenden Männern der #SPD die Leidenschaften durch«, schrieb Kipping auf Twitter. »Als es um #Familiennachzug oder #Pflegenotstand ging, war davon nicht so viel zu spüren.«
Besorgt äußerte sich Bundestagsabgeordneter Matthias Höhn. »Unfassbar. Es ist eine Tragödie, wie eine Partei wie die SPD in so kurzer Zeit so runtergewirtschaftet wird«, twitterte der ehemalige LINKE-Bundesgeschäftsführer: »Für unser Land ist das alles andere als gut.«
Kauder hofft auf positiven Mitgliederentscheid
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hofft, dass die SPD nun zur Ruhe kommt. »Vielleicht trägt die Entscheidung von Martin Schulz auch dazu bei, dass das Ergebnis für den Koalitionsvertrag bei deren Mitgliederentscheid klarer ausfällt«, sagte Kauder der »Passauer Neuen Presse«. Kauder zeigte sich zuversichtlich, dass die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag zustimmt, »da ja auch die SPD einige Punkte machen konnte«. Schulz hatte zuvor erklärt, er sehe durch die Diskussion um seine Person den Erfolg des SPD-Mitgliedervotums über den Koalitionsvertrag gefährdet.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gab es es in der NRW-SPD starke Bestrebungen, Schulz auf einen Verzicht auf das Ministeramt zu bewegen, wenn auch keine einheitliche Haltung dazu. »Es brodelt in der Partei«, hieß es. In Parteikreisen hieß es, Schulz werde auch der Umgang mit Sigmar Gabriel vorgeworfen.
Gabriel warf Schulz »Wortbruch« vor
Der frühere SPD-Chef und geschäftsführende Außenminister Gabriel hatte Schulz »Wortbruch« vorgeworfen. Gabriel machte der Parteiführung schwere Vorwürfe: »Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt«, sagte Gabriel den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Welches Versprechen er meint, sagte er nicht. Gabriel hatte im Januar zugunsten von Schulz auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur verzichtet, um Außenminister zu werden. Es wird kolportiert, dass Schulz ihm damals für den Fall einer neuen großen Koalition versprochen hat, dass er das Außenamt behalten darf. Ob das stimmt, ist unklar.
Schulz hatte nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag mit der Union außerdem angekündigt, nach dem anstehenden SPD-Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag den Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles abzugeben.
Der Chef des größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Mike Groschek, hatte mit Blick auf Schulz betont: »Es gibt Diskussionen um die Glaubwürdigkeit.« Dem müssten sich Schulz und der gesamte Parteivorstand vor dem Mitgliederentscheid der SPD stellen. »Ich kann die Gefühlswallung und manche Faust auf dem Tisch verstehen.« Agenturen/nd
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