Islam hat was mit Islamismus zu tun

Abdel-Hakim Ourghi offeriert 40 Thesen für eine Reform der dritten monotheistischen Weltreligion

  • Birgit Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, ist angesichts von etwa 5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens hierzulande schlicht die falsche Frage. Die richtige Frage lautet, so sagt der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi: Wie kann sich der Islam an die Moderne anpassen, um auch in Europa überlebensfähig zu sein? Vor allem, ohne dass die Gläubigen im ständigen Widerstreit mit der säkularen Mehrheitsgesellschaft leben. Durch eine radikale» Reform des Islam«, antwortet der Theologe und belegt diese Aussage mit 40 Thesen.

Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist ein theologisches, insofern ein für »vom Glauben Abgefallene« schwieriges Buch. Das sie nichtsdestotrotz lesen sollten. Denn eine Auseinandersetzung mit dem Islam - und seinen inneren Widersprüchen - findet seitens der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft viel zu selten statt. Was weitestgehend zu dem Irrglauben führt, der Islam sei heute eine Religion wie jede andere.

Doch trotz der des ganz klaren Bekenntnisses zu Gott seitens des Autors, ist es ein radikales, ein revolutionäres Buch, denn die Umsetzung der »40 Thesen« würde den Islam von Grund auf und nachhaltig verändern. Schon in der ersten These bemängelt Ourhi, »eine kleine Gruppe konservativer Gelehrter beansprucht die alleinige Deutungshoheit … Die Mehrheit der Muslime identifiziert sich blindlings mit dem von dieser Gruppe vorgegebenen kulturellen Erbe … In der Folge leben sie zwar körperlich in der heutigen Zeit, denken jedoch im Geist des 7. Jahrhunderts.«

Funktionieren, so Ourghi, könne das Zusammenleben in den europäischen Gesellschaften nur, wenn der »Islam zur privaten Sache« werde, und die Musliminnen und Muslime sich »primär« verstünden als »Bürgerinnen und Bürger des Landes, in dem sie leben«.

Das klingt ziemlich naheliegend. Die Brisanz dieser Worte erschließt sich den meisten nicht-muslimischen Menschen nicht. Denn im Gegensatz zum Juden- und Christentum ist der Islam staatstragend. Das heißt, die göttliche Ordnung steht über allem und es ist die Aufgabe des Staates, diese göttliche Ordnung auf Erden herzustellen und für deren Einhaltung zu sorgen. Auch die Rolle der Frau wird in Ourghis »Reform des Islam« ausführlich besprochen. Dabei räumt er mit ein paar hier weit verbreiteten Irrtümern auf. Zum Beispiel mit der Vorstellung, das Kopftuch und die Verschleierung seien ein religiöses Symbol. Mitnichten, erläutert er in These 34, das Kopftuch sei ein »historisches Produkt der männlichen Herrschaft«.

Die islamischen Gesellschaften sind feudalistische, tribalistische, während in den europäischen Gesellschaften das Individuum im Mittelpunkt steht. Individuelle Entscheidungsfreiheit, auch in Bezug auf den Glauben, bzw. die Art, diesen zu praktizieren, fordert Ourghi ein. Gläubige bräuchten keine vermittelnde Instanz zwischen sich und Gott, jede und jeder müsse den eigenen Glauben selbst mit diesem ausmachen. Gelehrte seien ausschließlich dazu da, in die Heiligen Schriften einzuführen, nicht den Gläubigen den Glauben - damit verbunden den Lebensstil - vorzuschreiben.

These 36 - »Der Islamismus hat sehr wohl was mit dem Islam zu tun« - dürfte in der muslimischen Welt wohl wenig Anklang finden. »Der Islam bietet jede Menge Anknüpfungspunkte für Gewalt. In den Moscheen wird oft genug ein abwertendes Bild von den ›Kuffar‹ (Ungläubige) vermittelt … Nicht nur die Islamisten, sondern auch die konservativen Muslime predigen in ihrem religiösen Diskurs Separatismus.«

Ourghi befasst sich in seinem Buch mit dem Verhältnis der verschiedenen islamischen Strömungen zueinander, mit dem Verhältnis des Islams zum Juden- und Christentum sowie der sogenannten westlichen Moderne. Fazit: Nur ein Islam, der innere Unterschiede und Widersprüche aushält und diskursiv klärt, sich einreiht in die Riege der Weltreligionen als EINE davon, ebenbürtig mit den anderen, und Atheismus als gleichberechtigte Lebensform und Säkularismus als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens akzeptiert, ist in Europa überlebensfähig. Zu einem überlebensfähigen Islam gehört auch ein egalitäres Verhältnis der Gläubigen untereinander, insbesondere was die Rolle der Frau angeht. Sehr deutlich postuliert Ourghi, dass die Frau im Islam zum Objekt degradiert wird. Das allerdings können nur Musliminnen selbst selbst ändern. Sie sollen nicht darauf warten, dass muslimische Männer das tun. Das wiederum scheint mir allerdings ein sehr weltliches und universelles Phänomen zu sein.

Abdel-Hakim Ourghi: Reform des Islam. 40 Thesen. Claudius Verlag, 237 S, geb., 18 €.

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