Nulltarif ist gut, Verkehrswende ist besser
Sozialinitiativen begrüßen den Vorstoß der Bundesregierung und halten die Reaktionen von Kommunalvertretern für zu defensiv
Manfred Bartl ist seit fast einem Jahrzehnt bekennender Schwarzfahrer. Ausgerüstet mit Flugblättern und einem gelben Schild mit der Aufschrift »Ich fahre schwarz«, macht der arbeitslose Chemiker und Hartz-IV-Betroffene aus Mainz auf seine Forderung nach einem »bezahlbaren Sozialticket für alle Armen« aufmerksam. Ein Recht auf Mobilität ergebe sich schon aus dem Grundgesetz.
Den Vorschlag einer kostenlosen Nutzung von Bussen und Bahnen hat Bartl »begeistert aufgenommen«, auch wenn die Bundesregierung »das ins Blaue hinein versprochen« habe, wie er gegenüber »nd« erläutert. Der Gewerkschafter und LINKE-Aktivist hält eine Debatte über erschwingliche Mobilität für alle unabhängig vom Einkommen für überfällig. Er will sich nicht damit abfinden, dass der offizielle Hartz-IV-Regelbedarf für Mobilität bei derzeit 26,87 Euro monatlich liegt und gleichzeitig ein Monatsticket der kommunalen Mainzer Verkehrsgesellschaft für ihn 61,10 Euro kosten würde. Dafür nimmt er auch Prozesse und Geldstrafen in Kauf, denn die Kontrolleure der Verkehrsunternehmen im Rhein-Main-Gebiet wollen seinen selbst entworfenen »Schwarzfahrerausweis« nicht anerkennen. »Ich werde niemals eine Haftstrafe antreten«, ist er fest entschlossen.
Bartl hat mit seinem Engagement dazu beigetragen, dass sich auch in Rheinland-Pfalz ein Bündnis für ein Sozialticket gebildet hat, in dem Sozialverbände wie der VdK und Umweltorganisationen wie der BUND zusammen mit dem DGB, ver.di und der Verkehrsgewerkschaft EVG vertreten sind. Der Zusammenschluss hat sich »Mobilität für alle!« auf die Fahnen geschrieben und fordert eine flächendeckende Lösung dafür, den öffentlichen Nahverkehr in ganz Rheinland-Pfalz bezahlbar zu machen. »Mobilität ist kein Luxusgut, sondern ein menschliches Grundbedürfnis und für gesellschaftliche Teilhabe absolut notwendig«, so Willi Jäger, Landeschef des Sozialverbands VdK. Tatsächlich stünden ärmere Menschen in Rheinland-Pfalz oft vor der Wahl zwischen Busfahren oder Abendessen. »Es darf nicht sein, dass ärmere Menschen vom Leben ausgeschlossen werden, weil ihnen das Geld für die Straßenbahn fehlt«, meint Jäger.
Dass der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) in den letzten Tagen auf den Vorstoß der Bundesregierung eher verhalten reagierte, hält Aktivist Bartl für einen »Ausdruck paradoxer Inkonsequenz«. Ebling ist in ehrenamtlicher Funktion auch Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), in dem die Stadtwerke organisiert sind. Er hatte den Vorschlag als »visionäre Vorstellung« bezeichnet und gleichzeitig zu bedenken gegeben, dass dieses Ziel kurzfristig nicht so einfach umzusetzen sei. Es wären »mehrere Testballons« nötig, weil ein erhöhter Andrang von Fahrgästen zunächst die Anschaffung neuer Busse und Straßenbahnen sowie den Ausbau der Infrastruktur erforderlich mache. Ebling, aber auch andere Lokalpolitiker versteckten sich laut Manfred Bartl hinter vermeintlichen »Sachzwängen«, der Schuldenbremse und Spardiktaten der Aufsichtsbehörden des Landes, statt sich zu freuen, dass kommunale Verkehrsunternehmen durch ein fahrscheinfreies und attraktiveres Verkehrsangebot potenziell Riesenzulauf bekämen. »Man sollte sich doch nicht darüber beschweren, dass Busse und Bahnen voll sind und weniger Autoverkehr die Städte lebenswerter macht, sondern mutig den Ausbau des ÖPNV anpacken und die dafür nötigen Mittel vom Bund einfordern«, so der Aktivist. »Wenn Ebling sich mehrere Testballons wünscht, hätte er Mainz als kurzfristig bereitstehende Modellstadt ins Spiel bringen können und müssen«, gibt er zu bedenken.
»Nulltarif ist gut, eine komplette Verkehrswende ist besser und nötig«, kommentiert ein Kreis von »Aktionsschwarzfahrern«, die sich in einer Projektwerkstatt im mittelhessischen Saasen zusammengeschlossen haben. Die Bundesregierung stehe »vor den Scherben ihrer eigenen Verkehrspolitik«, heißt es in der Erklärung. Da »mit dem flächen- und rohstoffintensiven motorisierten Individualverkehr eine Verkehrswende nicht machbar« sei, fordern die Aktivisten den sofortigen Stopp der Straßenbauprojekte sowie ein Umlenken auf eine »autofreie und sozial-ökologische Verkehrspolitik«. Statt E-Mobilität, Umrüstungen oder Plaketten für moderne Autos mit neuer Technik, die sich nur einkommensstarke Menschen leisten könnten, müsse jetzt das Auto durch Nulltarif und umweltgerechte Verkehrssysteme systematisch verdrängt werden, so der Aufruf. Bisher vom Autoverkehr genutzte Flächen müssten für Fußgänger und Radfahrer, Wohnungsbau, Freizeit und Naherholung umgewidmet werden, so die Forderung.
Dafür will der Aktionskreis öffentlichkeitswirksam werben. Rund um einen Strafprozess gegen einen Aktionsschwarzfahrer am 15. März in Gießen sind vielfältige Aktionen und Veranstaltungen geplant. Auch Manfred Bartl wird den Prozess vor Ort verfolgen.
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