Allegorien der Flucht

Christian Petzolds »Transit« nach Anna Seghers im Wettbewerb

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Seine besten Filme spiegeln verlorene Seelen, von »Die innere Sicherheit« über »Toter Mann«, »Gespenster«, »Wolfsburg« bis »Barbara«. Christian Petzold kann Geheimnisse inszenieren und sie trotzdem gleichzeitig hüten. Das gibt vor allem seinen weiblichen Hauptfiguren - von Barbara Auer bis Nina Hoss - eine unverwechselbare Aura. Das Außergewöhnliche liegt hier nicht jenseits, sondern mitten im Alltäglichen verborgen. Oft lösen sich in seinen Verwechslungsgeschichten auf hohem Niveau bislang für selbstverständlich gehaltene Identitäten in Luft auf.

Mit »Phoenix«, seinem 2014 auf einer Berlinale gezeigten Beitrag über eine Frau, die aus dem KZ kommt und mit ihrem unter der Amnesie eines Verräters leidenden Geliebten konfrontiert ist, gelang das allerdings nicht. Ist ein nur halb gehütetes Geheimnis ein ganzer Betrug am Publikum?

Nach »Phoenix« wollte Petzold keinen Film mit historischem Kolorit mehr machen. Dennoch wollte er Anna Seghers »Transit« getreu der Vorlage verfilmen, die sie in der Emigration schrieb und der 1947 erstmals als Fortsetzungsroman in einer Zeitung in Berlin erschien; damals war die Autorin noch in Mexiko. »Transit« ist eine verwickelte Liebesgeschichte in Zeiten der Angst, in der Menschen wegen ihrer politischen Gesinnung und vermeintlichen »Rasse« auf der Flucht vor den deutschen Besatzern aus Paris in das vermeintlich sichere Marseille flüchten. Dort warten sie auf ihre Einreisevisa in die USA oder nach Lateinamerika, verbringen ihre endlosen Tage in schäbigen Hotels und auf Konsulaten: Visa, Transit-Visa, Schiffspassagen, das sind die Sehnsuchtsvokabeln der hier Gestrandeten, die sich immer mehr in Flüche verwandeln. Denn Marseille wird für viele der vor den Nazis Flüchtenden zur Falle. Ein Stück deutsch-europäischer Emigrationsgeschichte, die man gerade heute wieder erzählen sollte.

Petzold will, wie er sagt, keinen Film über eine Geschichte machen, die nicht auch Gegenwart ist. Da wird es aber schwierig, denn er entschließt sich, den Film getreu nach Seghers Roman und doch im gegenwärtigen Marseille spielen zu lassen. Schließlich spielen sich hier heute wieder Fluchtdramen ab - wenn auch in umgekehrter Richtung.

Die »Festung Europa« gewährt längst nicht mehr jedem Einlass. Der Versuch, diese sehr unterschiedlichen Geschichten der Fliehenden in eine - provokante - Widerspruchsbeziehung zu bringen, ist mutig. Petzold bleibt sich darin treu, mit jedem Film etwas zu wagen.

Dann sehen wir Georg (hermetischer Typ: Franz Rogowski). Er nimmt die Papiere des Schriftstellers Weidel an sich, die er nach dessen Suizid findet. Mit seiner neuen Identität will er nach Mexiko, trifft in Marseille jedoch auf des Schriftstellers Ehefrau Marie (Paula Beer), die diesen in Paris wegen eines anderen Mannes verlassen hat, ihn hier in Marseille jedoch verzweifelt sucht. Georg und Marie verlieben sich, er weiß, wer sie ist, aber sie ahnt nichts.

Die Handlung scheint so verwickelt, wie das Leben in unüberschaubaren Situationen nun mal ist. Und bedeutet jede gelingende Flucht nicht auch den Verrat an einem Menschen, der zurückbleibt? Aber der dramatische Funke springt nicht recht über. Petzold projiziert zwei Zeiten, zwei Fluchtszenarien ineinander. Überall Razzien nach Untergetauchten, immer nur scheint der Mensch das, was seine Papiere über ihn sagen. Jedoch beschleicht einen zunehmend der Eindruck, der Film könnte sich allzu sehr in Fluchtmetaphorik gefallen, während er sich zwischen Angst und Hoffnung, Gestern und Heute voran assoziiert - und dabei weder dem Heute noch dem Gestern wirklich gerecht wird.

Und die Charaktere? Paula Beer als Marie lässt den etwas schalen Eindruck zurück, dass dies eine naive leichtlebige Frau ist, die sich in kurzer Zeit unter Lebensgefahr in zwei Männer verliebt, dabei aber ständig behauptet, immer nur ihren Ehemann zu suchen. Das ist nah an der Kolportage.

Wenn das filmische Experiment gelungen wäre, hätte es eine andere Art »Ausflug der toten Mädchen« werden können, eine Parabel auf die gespensterhafte Dimension, die eine militante Alltagslogik, gestern wie heute, in sich birgt. Aber die gegenwärtigen Marseiller Straßenszenen, all die Polizeiwagen von heute verbinden sich innerlich nie gänzlich mit der Fluchterzählung Anna Seghers. So bleibt enttäuschend wenig übrig von dieser Patchwork-Geschichte Petzolds.

Vorführungen am 21.2 in der Filmkunst 66 und am 25.2. im Haus der Berliner Festspiele

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