• Politik
  • Mitgliederentscheid in der SPD

Unter Neumitgliedern

Die vielen neuen SPDler engagieren sich aus ganz unterschiedlichen Gründen

  • Roland Bunzenthal
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich bin kein Freund der GroKo, aber es ist die richtigere Alternative.« Dieser Satz tauchte mehrfach beim Neumitgliedertreffen des SPD-Bezirks Hessen Süd auf. Mit der eigentlich unmöglichen Steigerungsform von richtig wollte der sozialdemokratische Hessen-Chef und Bundes-Vize, Thorsten Schäfer-Gümbel, ausdrücken, dass er - trotz kritischer Distanz zum politischen Ergebnis der Verhandlungen mit der Union - diesem am Ende doch zustimmen werde.

Rund 100 frisch gebackene Sozialdemokraten aus Hessen Süd waren der Einladung Schäfer-Gümbels gefolgt. Insgesamt 1800 neue Mitglieder hat der Bezirk seit Anfang des Jahres zu verzeichnen. Bei etlichen Teilnehmern glaubte man jedoch aufgrund des Entscheidungs-Dilemmas regelrecht das Knirschen der Zähne zu hören.

Im Frankfurter Kolpinghaus kam jeder zu Wort - das Mikrofon wanderte durch die Reihen. Die meisten versuchten sich kurz zu fassen, doch einige wollten offensichtlich auch, ihren Frust über »die da oben« los werden. Das »Berliner Chaos« lockte manchen aus der Reserve.

Schäfer-Gümbel zeigte sich dabei von seltener Offenheit und Selbstkritik: »Wir haben Fehler gemacht«, räumte er ein und manche schwarz-rote Entscheidung gehe bei ihm »bis an die Schmerzgrenze.« Klassisches Beispiel ist für den linken Politiker die »Flüchtlingsfrage«, bei der die SPD »ganz schwach« aussehe. Doch der pragmatische Macher bezeichnete die Große Koalition als das kleinere Übel. Die von den Politikern angestrebte Erneuerung der SPD werde kaum funktionieren, sonst wäre die bayerische SPD mit ihrer permanenten Oppositionsrolle schon längst total erneuert, meint Schäfer-Gümbel.

Die Kurz-Statements der Neumitglieder vermitteln einen Eindruck von der differenzierten Motivation für das aktuellste Engagement. Sicher hängt das auch meist mit dem Alter der einzelnen Neumitglieder zusammen. Es dominiert die Altersklasse der Dreißiger. Der Jüngste im Saal ist ein 15-jähriger Schüler, der sich für die Umwelt starkmacht.

Der älteste Anwesende war Peter Ripken (75), ein bundesweit bekannter Förderer der Literatur aus den Entwicklungsländern. Ripken war Anfang der 1970er Jahre schon einmal in die SPD eingetreten - »wegen Willy Brandt und seiner Friedenspolitik«. Von dessen Nachfolger Helmut Schmidt war er dagegen weniger angetan. 1982 verließ er die Partei wieder, »wegen der Brüsseler und Bonner Raketenpolitik des NATO-Doppelbeschlusses«. Jetzt hatten ihn Martin Schulz und die Hoffnung auf Abrüstung animiert.

Indirekt hat die SPD manchen Zulauf der AfD zu verdanken. »Gemeinsam gegen Rechts und für Europa« lautete die Motivation einiger Gäste. Schäfer-Gümbel verteidigte die 177 Seiten Einigung mit der Union: »Bei Wohnen, Bildung, der ungerechtfertigten Befristung, von Arbeitsverträgen, Rente und Familie sowie Europa haben wir viel bewegen können«, sagte er. Dagegen vermissten einige Beigetretene irgendwelche Fortschritte beim Klimaschutz, in der Steuerpolitik oder bei Hartz IV. Weiterhin fehlen ein Einwanderungsgesetz und ein liberaler Umgang mit den Geflüchteten.

Bei der eigentlichen Gretchen-Frage des Abends - sag’, wie hältst du es mit der Abstimmung - zeigte sich kein eindeutiges Bild. Geplante Ja- und Nein-Stimmen hielten sich einigermaßen die Waage. Nur zwei Anwesende bekannten jedoch ihr taktisches Verhalten - »nach dem Votum trete ich wieder aus«.

Negativ schlugen jedenfalls die personellen Entscheidungen der letzten Tage zu Buche. Weshalb er nicht für den Bundesvorsitz kandidiere, wird Schäfer-Gümbel gefragt. »Ich bin kein emotionsgeladener Festzelt-Redner«, erklärte er, »ich arbeite lieber mit dem Kopf.«

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