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Deutsche werden weiter bevorzugt
Essener Tafel hält trotz Kritik an ihrem Aufnahmestopp für bedürftige Ausländer fest
Die Essener Tafel zur Verteilung von Lebensmittelspenden an Bedürftige wird trotz Kritik ihren Aufnahmestopp für Ausländer vorerst nicht rückgängig machen. Nach einer Sitzung am Dienstag teilte der Vereinsvorstand mit, dass innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Runder Tisch mit örtlichen Wohlfahrtsverbänden und dem Verbund der Migrantenselbstorganisationen gegründet werde, um über die Verteilung der Lebensmittel nachzudenken. Es bestehe dabei weiter Einigkeit, dass Alleinerziehende, Senioren und Familien mit minderjährigen Kindern im Mittelpunkt stehen sollten.
Die Essener Tafel hatte seit dem 10. Januar neue Berechtigungen zum Empfang von Lebensmitteln vorübergehend nur noch für Bürger mit deutschem Ausweis ausgestellt. Wer bereits eine Karte hat, darf aber weiter zur Tafel kommen und sich seine Lebensmittel abholen. Begründet wurde der Schritt mit einem angeblich zu hohen Anteil an Ausländern unter den »Kunden« von mittlerweile 75 Prozent. Ziel sei es, ein »ausgewogenes Verhältnis« zu erreichen, hieß es vonseiten der Tafel.
Die Entscheidung hatte bundesweite Debatten ausgelöst. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte am Dienstag: »Es ist richtig, dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Verdrängung kommt an der Tafel.« Er habe mit dem Vereinsvorsitzenden Jörg Sartor gesprochen und unterstütze ihn. »Die, die angestammt berechtigt sind«, dürften nicht durch respektloses Verhalten anderer von der Tafel ausgeschlossen werden.
Dagegen hatten Mitglieder der Bundesregierung Kritik geübt. »Ich glaube, da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen«, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Montagabend in einem Interview mit »RTL Aktuell«. Dies sei »nicht gut«, zeige aber »auch den Druck, den es gibt«.
Der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafeln, Jochen Brühl, verwies darauf, dass es Aufgabe von Politik und Gesellschaft sei, Flüchtlinge und andere Bedürftige ausreichend zu versorgen. Deswegen seien empörte Reaktionen von Politikern wie Katarina Barley (SPD), deren Sozialministerium die Schirmherrschaft über die Tafeln hat, heuchlerisch. Barley hatte erklärt, dass Bedürftigkeit das Maß sein müsse und nicht der Pass. Brühl räumte allerdings ein, dass die Essener Tafel keine gute Lösung für ihre Verteilprobleme gefunden habe. »Das ist kein Rassismus, das ist Hilflosigkeit«, meinte er.
Neben der Union streitet auch die Linkspartei über ihre Haltung. In einem Bericht von der Sitzung des LINKE-Vorstands vom Wochenende, den Thies Gleiss und Lucy Redler verfasst haben, heißt es, dass die allermeisten Mitglieder des Gremiums mit Empörung auf das Vorgehen der Essener Tafel reagiert hätten. Mehrere Vorstandsmitglieder sollen dieses als rassistisch bezeichnet haben. Die Zurückweisung der Entscheidung in Essen solle mit sozialen Forderungen für alle und Kritik am Wesen der Tafeln allgemein und den Zuständen, die zu Armut führen, verbunden werden.
Gleiss und Redler, die zur Strömung Antikapitalistische Linke gehören, berichteten, dass die Aussage der Fraktionschefin Sahra Wagenknecht im Deutschlandfunk zu dem Thema im Vorstand »auf weitgehend einhellige Ablehnung« gestoßen sei. »Leider ist Sahra Wagenknecht trotz mehrmaliger Nachfrage des Deutschlandfunks eine Ablehnung der Entscheidung der Essener Tafel schuldig geblieben«, kritisierten sie.
Wagenknecht hatte auf ihrer Facebook-Seite gefordert, dass Kritiker an dem Aufnahmestopp der Essener Tafel wie Barley »lieber mal über die eigene Mitverantwortung dafür nachdenken sollten, dass im heutigen Deutschland derart viele Menschen auf die Hilfe von Tafeln angewiesen sind. Darunter viele Ältere, die in ihrem Leben hart gearbeitet haben, und viele alleinerziehende Mütter.« Die Linksfraktionschefin ergänzte: »Es kann nicht sein, dass die Ärmsten jetzt auch noch die Hauptlasten der Zuwanderung tragen sollen.« Zuvor hatte sie im Deutschlandfunk eine »Überlastung der Tafeln« beklagt.
Einen rassistischen Hintergrund konnte Wagenknecht offenbar nicht erkennen. Dabei hatte Tafel-Chef Jörg Sartor im Gespräch mit dem »Spiegel« den Eindruck erweckt, er könne das Verhalten einiger Migranten auch mit deren »Genen« erklären. Unter Syrern und Russlanddeutschen gebe es »ein Nehmer-Gen«, einige würden drängeln und schubsen, es fehle an einer »Anstellkultur«, so Sartor. Deswegen hätten sich »die deutsche Oma« oder »die alleinerziehende deutsche Mutter« bei der Tafel zuletzt nicht mehr wohlgefühlt.
In der Nacht zum Sonntag hatten Unbekannte die Worte »Nazis« und »Fuck Nazis« auf Fahrzeuge und Türen der Hilfseinrichtung gesprüht.
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