Die Metropole der Mopeds

Viele Fußgänger sind der Meinung, dass es so in Saigon nicht weitergehen kann

  • Bennett Murray, Ho-Chi-Minh-Stadt
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Fußgänger hat man es in Ho-Chi-Minh-Stadt nicht leicht. Mal abgesehen davon, dass einem bei Temperaturen von aktuell um die 35 Grad recht bald der Schweiß auf der Stirn steht: Die Gefahr, nach einem Spaziergang zumindest ein paar Schrammen und blaue Flecken am Körper zu haben, ist groß. Auf den Straßen von Vietnams größter Stadt, dem ehemaligen Saigon, sind inzwischen mehr als 7,5 Millionen Mopeds unterwegs. Auf Fußgänger nehmen deren Besitzer nicht allzu viel Rücksicht.

Und wenn es nur die Straßen wären. Mittlerweile hat sich in Ho-Chi-Minh-Stadt eingebürgert, dass Mopedfahrer auch die Bürgersteige ausgiebig nutzen - weil die Straße gerade wieder einmal verstopft ist, die Ampel rot oder der Weg einfach kürzer. Zudem neigt auch der Vietnamese immer mehr dazu, am Lenkrad zu telefonieren. Als Fußgänger hat man dann die Möglichkeit, auf seinem Recht zu bestehen oder Platz zu machen. Sicherer ist die zweite Variante.

Das Fahren auf den Gehwegen ist natürlich auch in Vietnam illegal. Aber die Volkspolizisten in ihrer grünen Uniform schauen gewöhnlich zu, ohne auch nur irgendetwas zu unternehmen. In der Stadt mit offiziell acht Millionen Einwohnern haben sich viele damit abgefunden, dass nun auch auf den Bürgersteigen das Gesetz der Straße gilt. Zumal hier ja auch jeder selbst Mopedfahrer ist. Fünf Leute auf einem einzigen Moped sind hier keine Seltenheit.

Statistisch gesehen kommt fast auf jeden Einwohner auch ein motorisiertes Zweirad. Tag für Tag werden in Ho-Chi-Minh-Stadt 750 neue Mopeds zugelassen. Mit dem Fahrrad, so wie früher, ist kaum noch jemand unterwegs. Autos sind für viele Vietnamesen (bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von umgerechnet 158 Euro) noch zu teuer.

Hinzu kommt, dass hier die Bürgersteige seit jeher anders genutzt werden als in Europa. Hier wird nicht nur geparkt und gefahren, sondern auch geschlafen, gegessen, gekocht und gehandelt. Die 62-jährige Nguyen Thi Tuyet hat auf der Le-Thanh-Ton-Straße schon seit Jahrzehnten einen Stand, wo sie Tee, Zigaretten und Snacks verkauft. 250 000 vietnamesische Dong bringt ihr das pro Tag - umgerechnet knapp neun Euro.

Trotzdem gibt es jetzt auch Überlegungen, das Chaos auf den Gehwegen zu beenden. Als Vorbild gilt Singapur, wo es sauberer ist als in allen anderen Ländern der Region. Besonders hervorgetan hat sich dabei der bisherige Vize-Bürgermeister von Ho-Chi-Minh-Stadts Erstem Bezirk, Doan Ngoc Hai.

Der Funktionär ließ sogar falsch geparkte Autos mit Diplomaten-Kennzeichen abschleppen. Angeblich sorgte er auch dafür, dass seine Schwiegermutter einen Strafzettel bekam. Die Presse verpasste ihm deshalb den Spitznamen »Käpt’n Gehweg«. Den Einwohnern empfahl er: »Wenn Ihr ohne Manieren durch die Stadt fahren wollt, dann haut ab und zieht in den Dschungel.«

Bei den Ho-Chi-Minh-Städtern stieß er auf ein geteiltes Echo. Viele sind ebenfalls der Meinung, dass es so nicht weitergehen kann. Aber Frau Tuyet zum Beispiel, die Straßenverkäuferin, meint: »Ich würde ihn unterstützen, wenn er den Leuten, die ihr Geld auf der Straße verdienen, neue Jobs anbietet. Aber so wie er das macht, ist das nur grausam.« Hai erhielt sogar Morddrohungen.

Der Bürgerrechtler Nguyen Quang A ist der Meinung, dass die Rückgewinnung der Gehwege für Fußgänger nur mit einem richtigen Plan gelingen kann. Alle Formen von Sondergenehmigungen für Funktionäre und deren Familien müssten ebenfalls verboten werden. »Wichtig wäre, die Interessen der Leute zu respektieren und gleichzeitig die kulturellen Besonderheiten der Stadt zu behalten.«

»Käpt’n Gehweg« wird das nicht mehr gelingen. Der Vize-Bürgermeister erklärte vor kurzem seinen Rücktritt - angeblich, weil ihm intern empfohlen wurde, seinen Ton zu mäßigen. »Ich habe mein Versprechen an die Öffentlichkeit nicht einhalten können«, schrieb er zum Abschied. Auf den Bürgersteigen von Ho-Chi-Minh-Stadt herrscht nun wieder das übliche Chaos. dpa/nd

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