Die Macht der Vertrauensleute
Verhinderte AfD-Kandidatur beschäftigt Sachsens Verfassungsgericht
Einen bloßen Tausch wird es nicht geben. Nach zweistündiger Verhandlung vor Sachsens Verfassungsgericht zog Arvid Immo Samtleben seinen Antrag zurück, der AfD-Politikerin Karin Wilke ihr Mandat im sächsischen Landtag zu entziehen und stattdessen ihm selbst zu einem Sitz im Parlament zu verhelfen. Das Gericht möge, beantragten seine Anwälte, vielmehr die Landtagswahl 2014 für komplett ungültig erklären und eine Neuwahl veranlassen - wenig mehr als ein Jahr vor dem nächsten regulären Urnengang im Freistaat.
Samtleben hat das Gericht angerufen, weil er überzeugt ist, zu Unrecht um ein Landtagsmandat gebracht worden zu sein. Im April 2014 hatte ihn eine Vertreterversammlung der AfD auf Platz 14 der Landesliste gesetzt. Vier Monate später errang die Partei bei der Landtagswahl 9,7 Prozent, was exakt 14 Sitzen entsprach - Samtleben wäre drin gewesen. Allerdings hatte ihn der Vorstand unter Führung der damaligen Landeschefin Frauke Petry zwischenzeitlich von der Liste streichen lassen. Sie verwies später auf mangelndes Engagement. Samtleben sieht sich indes als Opfer einer Intrige; zudem habe er sich geweigert, ein von aussichtsreichen Kandidaten gefordertes Darlehen für den Wahlkampf zuzusagen. Statt seiner sitzt heute Wilke im Landtag, die einst auf Platz 15 der Liste gesetzt worden war.
Nach der Wahl reichte Samtleben deshalb Beschwerde beim Wahlprüfungsausschuss des Landtags ein, der den Fall danach in beispielloser Gründlichkeit prüfte. Das Gremium führte drei Anhörungen durch, holte Gutachten und Stellungnahmen ein und empfahl nach fast dreijährigem Verfahren die Ablehnung der Beschwerde. Im Juni folgte der Landtag dem Votum, woraufhin der verhinderte Kandidat zum Verfassungsgericht zog.
Die dortige mündlichen Verhandlung drehte sich zunächst um die Frage, ob Samtlebens Streichung formal ein »Wahlfehler« war. Sie war dem Wahlausschuss durch zwei Vertrauensleute mitgeteilt worden, wie sie alle Parteien im Zuge von Listenwahlen benennen müssen. Der Landtag hatte das später für korrekt befunden und auf die »starke Stellung« verwiesen, die das Gesetz den beiden Funktionsträgern einräumt. Samtlebens Anwalt Martin Kohlmann monierte allerdings, diese seien im konkreten Fall »auf Befehl des Landesvorstands« aktiv geworden; Änderungen der Liste hätte aber nur ein Parteitag vornehmen dürfen. »Das ging in Richtung Führerprinzip«, ergänzte sein Kollege Dubravko Mandic.
Die weitgehenden Befugnisse der Vertrauensleute stoßen auch andernorts im Landtag auf Skepsis. Die LINKE hat einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach diese Funktionsträger nur noch solche Änderungen an einer Landesliste vornehmen dürfen, die eine Vertreterversammlung beschlossen hat. Klaus Bartl, ihr rechtspolitischer Sprecher, verweist auf eine ähnliche Gesetzesregelung in Berlin. Eine Anhörung zu dem Vorstoß sollte ursprünglich am 11. April stattfinden. Sie dürfte aber verschoben werden: Just an diesem Tag will auch das Verfassungsgericht sein Urteil sprechen.
Dass es dann eine Neuwahl anordnet, ist allerdings unwahrscheinlich. In der Verhandlung ließen die Richter durchblicken, dass sie selbst einen möglichen Wahlfehler in Bezug auf Samtleben für nicht so schwerwiegend hielten, dass auch alle anderen 125 Abgeordneten dafür büßen müssten. Birgit Munz, die Präsidentin des Gerichts, verwies auf die Rechtsprechung, die Neuwahlen nur dann für angemessen hält, wenn ein Fortbestand des Parlaments als »unerträglich« angesehen werde. Die Bürger, ergänzte einer ihrer Kollegen, hätten den jetzigen Landtag »in Kenntnis der unterstellt fehlerhaften Liste gewählt«. Samtleben selbst räumte ein, dass bei einer Neuwahl »der Täter womöglich der Nutznießer« wäre. Aktuellen Umfragen zufolge würde die AfD weit mehr als 14 Mandate erringen. Frauke Petry, die mittlerweile ausgetretene Ex-Landeschefin, hatte schon in einer Anhörung des Wahlprüfungsausschusses süffisant angemerkt, dass sie einer Neuwahl »gelassen« entgegensehe.
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