Wenn WhatsApp der beste Freund ist

Tausende Teenager in Deutschland sind süchtig nach sozialen Medien

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass Suchtkrankheiten nicht nur in Verbindung mit stofflichen Abhängigkeiten von Nikotin, Alkohol, Tabletten und illegalen Drogen auftreten, ist seit einiger Zeit bekannt. Besonders die Digitalisierung und die damit einher gehende Virtualisierung sozialer Kontakte ist seit längerem Gegenstand der Forschung und der Suche nach präventiven und therapeutischen Ansätzen.

Die DAK Gesundheit, mit 5,8 Millionen Versicherten eine der größten gesetzlichen Krankenkassen, hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf eine Studie zum Gebrauch von Social Media in der Altersgruppe der 12 bis 17-Jährigen erarbeitet, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Zwar sei eine Definition von Sucht in diesem Kontext schwierig, so der DAK Vorstandsvorsitzende Andreas Storm. Doch der in den Niederlanden entwickelte Fragen- und Kriterienkatalog (Social Media Disorder Scale) zur Bewertung des Nutzerverhaltens biete eine gute Grundlage. Dabei sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass 100 000 Jugendliche in dieser Altersgruppe - das entspricht 2,6 Prozent - als süchtig einzustufen seien.

Die auf der Basis einer repräsentativen Umfrage erstellten Ergebnisse der Studie sind eindeutig. 85 Prozent aller Jugendlichen frequentieren die entsprechenden Medien täglich, mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von knapp drei Stunden. An der Spitze steht der Messengerdienst WhatsApp, gefolgt von den Foto- und Videoplattformern Instagram und Snapchat. Facebook spielt dagegen in dieser Altersgruppe kaum noch eine Rolle. Weitere weit verbreitete Internetnutzungen wie Online-Spiele und YouTube-Kanäle wurden in der Studie nicht berücksichtigt.

Unter den ermittelten Werten stechen einige besonders hervor. Rund die Hälfte der Befragten gab an, Kontakte mit Freunden überwiegend über Social Media zu haben, acht Prozent sogar ausschließlich. Fünf Prozent erklärten, keinerlei Interesse an Hobbys und Freizeitbeschäftigten außer Social Media zu haben.

Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Zentrums für Suchtfragen, betonte, dass soziale Netzwerke kein »Teufelswerk« seien, sondern »der Identitätsentwicklung junger Menschen durchaus dienlich sein können«. Das betreffe sowohl das »Ausprobieren von Formen der Selbstdarstellung und der Kommunikationsgestaltung«, als auch die durch das Feedback in der Community erfahrene Selbstbestätigung. Ernste Probleme tauchten aber auf, wenn es zu dauerhaften Kontrollverlusten bei der Nutzung dieser Medien und dem Verlust zur Fähigkeit zu nichtmedialen Kontakten komme. Dies führe zu vermehrten Konflikten im Alltagsleben, vor allem in der Familie und in der Schule, bis hin zu einer »depressiven Symtomatik«. Thomasius verwies auf US-amerikanische Studien, die auf Parallelen zu stofflichen Abhängigkeiten verweisen, wie zum Beispiel übersteigerte Selbstbezogenheit, fehlende Toleranz, Fortsetzung exzessiver Nutzung trotz wahrgenommener negativer Begleiterscheinungen, Täuschung der Umwelt über das Maß des Konsums, aber auch psychosomatische Entzugserscheinungen bei längerer Nutzungsunterbrechung.

Als Schlüssel für den Umgang mit diesem Phänomen sehen die DAK und das Zentrum vor allem umfassende Aufklärung und Prävention. Es reiche eben nicht, bei der angestrebten Digitalisierung der Schulen vor allem auf die Ausstattung mit entsprechender Hardware zu setzen, so Thomasius. Vielmehr gehe es um die Vermittlung von Medienkompetenz im umfassenden Sinne, was auch fundierte und altersgerechte Aufklärung über soziale und gesundheitliche Gefahren einer unkontrollierten Mediennutzung beinhalte. Nicht nur Bildungs- und Jugendeinrichtungen müssten dazu in die Lage versetzt werden, sondern auch Ärzte und vor allem das familiäre Umfeld. In der Pflicht seien dabei auch die Anbieter dieser Medien, von denen man im Sinne des Jugendschutzes auch technische Maßnahmen zur Nutzungskontrolle und Beschränkung einfordern müsse. Man dürfe jedenfalls »nicht abwarten, bis das Kind endgültig in den Brunnen gefallen ist«, mahnte Thomasius.

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