Der arktische Exit-Vorreiter
Grönland hat schon 1985 die Europäische Gemeinschaft verlassen. Dennoch erhält das Land weiterhin EU-Zuschüsse
Lange bevor es modern wurde, zu diskutieren, ob es besser ist, Teil des europäischen Hauses zu sein oder nicht, folgten die Grönländer eigenen Wünschen und verließen die damalige Europäische Gemeinschaft. Im Gefolge des Brexit-Beschlusses erklärte der ehemalige grönländische Premier Lars-Emil Johansen, der 1978 an dem Austrittsbeschluss maßgeblichen Anteil hatte: »Ich habe diesen Beschluss nie bereut. Wir haben unsere ökonomische Freiheit wiederbekommen und insbesondere unsere Beschlusskompetenzen über die Fischerei. Ich meine, dass man nicht an einer Gesellschaft, einem Klub, einer Union oder einer Ehe festhalten soll, in der man sich nicht wohlfühlt.«
Grönland wurde 1973 gemeinsam mit dem dänischen Mutterland Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Zu diesem Zeitpunkt hatte die arktische Insel den rechtlichen Status eines dänischen Amtes und sich dem Mehrheitswillen unterzuordnen, obwohl rund 70 Prozent der Grönländer bei dem Referendum über den Beitritt zur EWG mit »Nein« gestimmt hatten. Auch dadurch bekam in den folgenden Jahren die grönländische Autonomiebewegung Auftrieb, die politischen Gewichte verschoben sich. 1978 stimmte eine klare Mehrheit der Grönländer für die Einführung einer Selbstverwaltung, die 1979 in Kraft trat.
Die frischgebackenen Politiker kamen zu dem Schluss, dass die Mitgliedschaft in der EWG ein Hemmschuh für die Entwicklung der grönländischen Ökonomie sei. Die grönländischen Gewässer waren zu Fahrwassern europäischer Fischer geworden, die durch bessere und größere Schiffe einen höheren Fang anlanden konnten als einheimische Fischer. Die Wiedergewinnung der Beschlussfähigkeit über dieses Gebiet war ausschlaggebend dafür, dass die Bevölkerung 1982 großteils für den Austritt stimmte.
Nach einer Übergangsphase von rund drei Jahren, in der der sogenannte Grönlandvertrag ausgehandelt wurde, trat der inzwischen autonome Teil des Königreiches Dänemark aus der Gemeinschaft aus. Seitdem hat Grönland den sogenannten OLT-Status, den auch die französischen und niederländischen überseeischen Territorien genießen. Die visafreie Einreise in die EU ist möglich, da alle Grönländer die dänische Staatsbürgerschaft besitzen.
Der grönländische Austritt wurde erleichtert dadurch, dass der Binnenmarkt der EG lediglich um rund 50 000 Verbraucher schrumpfte, das Vertragswerk vergleichsweise unkompliziert war und sich auf Handel und Ökonomie konzentrierte. Trotz des formellen Austrittes aus der Europäischen Gemeinschaft bestehen zudem viele Bande weiterhin. Grönland entsendet eigene Diplomaten im Rahmen der dänischen Vertretung in Brüssel, zudem sind europäische Fischer weiter in grönländischen Gewässern zu finden. Dafür zahlt die EU allerdings: jährlich insgesamt 20,1 Millionen Euro. Neben dem Zuschuss aus Dänemark ist dieser Betrag der größte Posten auf der Einnahmeseite des grönländischen Haushaltes.
In früheren Jahren bezahlte die EU höhere Beträge für die Fischereirechte, doch wurden die zugeteilten Quoten gesenkt, um Überfischung zu vermeiden. Da die EU jedoch ein ausdrückliches Interesse an der Arktis erklärt hat, wurde der ursprüngliche Betrag aufgeteilt in zwei Portionen. Eine deckt weiterhin die Fischquoten ab, während die zweite als Zuschuss für Infrastrukturentwicklung gezahlt wird.
Territorien mit OLT-Status können grundsätzlich Mittel aus dem Europäischen Entwicklungsfonds beantragen - wie jede andere europäische Region auch. Zusätzlich existieren unter anderem der Nordperipherie- und Arktisfonds, der Europäische Strategische Entwicklungsfonds und das Erasmusprogramm. Für die EU ist es wichtig, in den arktischen Regionen Flagge zu zeigen, auch wegen des Zugangs zu grönländischen Rohstoffen wie den Seltenen Erden. Aufgrund der finanziellen Zuschüsse und dem Interesse an Fisch und Rohstoffen aus Brüssel hat sich der Exit-Beschluss kaum negativ auf Grönland ausgewirkt.
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