Verfilmtes Trauma

Der Zweiteiler »Gladbeck« ist 30 Jahre nach dem Geiseldrama mehr als zeitgeschichtliche Chronistenpflicht des Fernsehens

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Album der Bundesrepublik ist voll unauslöschlicher Fotos. Brandts Kniefall in Warschau oder Kohls Kotau in Bitburg, Barschel in der Badewanne, Beckers Matchball in Wimbledon 1985. Und Dieter Degowski mit Waffe am Hals von Silke Bischoff. Der Bankräuber ratlos, seine Geisel hilflos: Seit das Bild Ende der Achtziger Eingang ins kollektive Gedächtnis fand, sagt es mehr als Worte. Von denen sind jedoch ohnehin kaum welche überliefert. »Bei meiner Figur vier, fünf Sätze«, sagt Alexander Scheer, der es wissen muss. Im ARD-Zweiteiler übers bildgewaltigste Verbrechen der Nachkriegszeit spielt er den einsilbigen Dieter Degowski. »So wenig Text hatte ich definitiv noch nie«.

»Gladbeck« heißt Kilian Riedhofs Film übers Geiseldrama, das am 16. August 1988 um 7.55 Uhr in einer nordrhein-westfälischen Bankfiliale begann und 52 Stunden später auf der A3 in einem Blutbad endete. Vorerst. Denn dieses Trauma, sagt der Regisseur, »ist nach 30 Jahren noch frisch«. Bei den Beteiligten, die es weiter mit sich herumschleppen; bei ihm selbst, der die pausenlose Liveberichterstattung als Teenager zu sehen bekam; und beim Publikum, für das der Filmemacher »den albtraumhaften Sog des tatsächlichen Geschehens und seine Bilder« inhaltlich und emotional greifbar macht.

Nach dem Drehbuch von Holger Karsten Schmidt hat Riedhof im Auftrag von Ziegler-Film und ARD-Degeto ein Stück bundesdeutscher Realität fiktionalisiert, das sich nahtlos ins Zeitgeschichtsfernsehen einreiht. Luftbrücke, Luther, Lengede, Spiegel-Affäre, Contergan-Skandal und alles rund um den Mauerbau, vom Mauerfall ganz zu schweigen: Stück für Stück arbeitet sich das Medium an der Wirklichkeit ab und macht daraus Unterhaltung - nur eben selten so reflexive wie hier. Denn Gladbeck war der Sündenfall einer zusehends erregten Mediengesellschaft, die in der Gründung des Kommerzfernsehens einige Jahre zuvor ihren Gründungsakt hatte.

Nie zuvor waren Berichtsobjekt und -subjekt stärker verschwommen als auf der Odyssee zweier Desperados mit Komplizin und Geiseln. Private ebenso wie öffentlich-rechtliche Sender, der honorige Hans Meiser nicht weniger als der hitzige Frank Plasberg - am offenen Auto der Entführer machte sich die Branche bis zur Selbstverstümmelung mit dem Gegenstand ihrer Tätigkeit gemein. Eine Medienschelte seien die 180 Minuten trotzdem nicht, meint Riedhof, der vor zwei Jahren bereits den »Fall Barschel« nachgestellt hat. »Es ging mir nicht um Beurteilung, sondern Erfahrbarkeit.«

Dabei konnte er sich auf eine Schar perfekter Akteure verlassen. Albrecht Schuch zum Beispiel, der den Fotoreporter Peter Meyer mit einer glucksenden Eitelkeit zum Niederknien interpretiert. Ulrich Noethen als Einsatzleiter, der den Mix aus sturer Bürokratie und situativer Inkompetenz stellvertretend für alle Beamten verkörpert. Besonders gelungen ist aber Sascha Alexander Geršaks Hans-Jürgen Rösner. Mit kaum mehr Text als Kollege Scheer verleiht der Schauspieler seiner Figur eine sehr physische, trotzig-verschwitzte Hoffnungslosigkeit. In ihm fand der Regisseur jenen Darsteller, »der den Wahnsinn zulassen konnte«, wie es Geršak ausdrückt. Und um die Fiktion mit der Realität in Deckung zu bringen, »hatten wir beim Drehen immer Tablets dabei, auf denen wir uns die Originalszenen im Vergleich anschauten«.

Wenn möglich an Originalschauplätzen gedreht, ist das Ergebnis aber nicht nur hochgradig spannend, sondern juristisch heikel. »Angesichts der Persönlichkeitsrechte mussten wir das Projekt wie ein rohes Ei behandeln«, sagt Produzent Sascha Schwingel, macht aber klar, dass selbst eine Unterlassungsklage Rösners der Ausstrahlung nie im Wege stand. So wird es kurz vorm 30. Jahrestag nochmals wachgerufen: das Trauma von Gladbeck, bei dem eine Geisel, der 15-jährige Emanuele de Giorgi, in einem Linienbus von Degowski ermordet wurde, bei der Verfolgung in den Niederlanden bei einem Zusammenstoß mit einem LKW ein Polizist ums Leben kam und eine zweite Geisel, die 18-jährige Silke Bischoff, bei der abschließenden Polizeiaktion auf der Autobahn erschossen wurde.

Ob er damit nur eine Chronistenpflicht erfülle? »Um Gottes willen, nein«, beteuert Kilian Riedhof, »der Film hat eine innere Notwendigkeit, erzählt zu werden.« Wenn es mit so viel Überzeugung, Schaffenskraft und Intensität geschieht, darf sich das Fotoalbum am Bildschirm gern noch weiter füllen.

ARD, 7. und 8. März, jeweils 20.15 Uhr

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