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Leipzigs zwei Gesichter
Brachfläche im Osten der Stadt wurde unter Protest von Anwohnern für fast eine Million Euro versteigert
Wird über Leipzig gesprochen, dann erscheint die Messestadt als Ort mit zwei Gesichtern. Auf der einen Seite steht die blühende Kunstszene, eine wachsende Subkultur und eine alternative Szene, die sich vor allem in Hausprojekten organisiert. Auf der anderen Seite hat es Leipzig längst auch in die Hochglanzbroschüren der Immobilienwirtschaft geschafft und gilt als attraktives Umfeld für Investitionen auf dem Wohnungsmarkt.
Bei Zwangsversteigerungen prallen diese zwei Gesichter der Stadt momentan aufeinander. Hier treffen idealistische Kulturschaffende, kleine Gewerbetreiber und große Immobilienfonds aufeinander - in einem ungleichen Kampf um die letzten auf dem Markt verfügbaren Grundstücke.
So wie am Montag, als bei einer Zwangsversteigerung vor dem Amtsgericht in Leipzig um eine Brachfläche an der Eisenbahnstraße 105 geboten wurde. Diese Straße befindet sich im Leipziger Osten, ist einer der Hotspots der alternativen Szene und kann stellvertretend für die Entwicklung, die die Messestadt seit einigen Jahren durchmacht, gesehen werden: Enorme Gewinne für Investoren, steigende Mieten und zunehmend knapp werdende freie Flächen. Ein Grund, weshalb eine Initiative von Anwohnern Protest gegen die Versteigerung angemeldet hatte. Etwa 50 Menschen standen mit Schildern, auf denen Aufschriften wie »Brache bleibt« und »Immobilienträume zerplatzen lassen« zu lesen waren, vor dem Eingang des Amtsgerichtes, in dem am Montagmorgen die Versteigerung stattfand. Auf den 1650 Quadratmetern, die unter den Hammer kamen, befindet sich nämlich ein Treffpunkt des Stadtteils. Henning Bach, der die Proteste organisiert hat, erzählt, dass das Gelände »seit Jahrzehnten von den Bewohnern des Viertels als Park genutzt wird«.
Das Grundstück ist nach dem Tod der Eigentümerin kürzlich an das Land Baden-Württemberg gefallen. Dieses versteigerte die Fläche an die höchstbietende Partei. Henning Bach macht das wütend: »Da wird eine Fläche einfach an den Höchstbietenden versteigert, dabei gibt es bei uns im Viertel immer noch nicht genug Schulen und Kindergärten.« Tatsächlich sucht die Stadt Leipzig momentan selbst öffentlich nach Grundstücken zum Bau von Schulen und Sporthallen.
Kein Wunder also, dass sich bei der Versteigerung auch ein Vertreter der Stadt Leipzig einfand. Der Saal war bis auf den letzten Stuhl belegt. Eine halbe Million wäre die Stadt Leipzig bereit gewesen, für die Brachfläche zu zahlen, hieß es. Eine stolze Summe, schnell wurde aber deutlich, dass das nicht ausreichen würde, um die kapitalschweren Investoren auszustechen
Der Verlauf der Versteigerung war geprägt von Unruhe im Saal. Die Protestierenden meldeten sich immer wieder zu Wort und pochten darauf, dass sozialer Wohnungsbau seit Jahren überfällig sei. Der Preis, der für das Grundstück abgerufen wurde, lässt aber nicht auf soziale Mieten hoffen. Für 952 000 Euro wurde die Brache verkauft. Den Zuschlag bekam Khaled Khalifa für die KH Immobilien-GmbH. Gegenüber dem »nd« sagte er, er wolle auf der gesamten Fläche Gewerbe- und Wohneinheiten errichten, und zwar »so viele wie möglich«.
Dass bei solchen Preisen keine sozial verträglichen Mieten entstehen, ist für die Leipziger Stadtforscherin Leonie Büttner offensichtlich. »Um den Kaufpreis von knapp einer Million Euro wieder einzuspielen, gehen die Wohnungen sicher nicht unter zehn Euro pro Quadratmeter an den Markt«, vermutet sie. »Zum Vergleich, die Mieten in dem Viertel liegen im Durchschnitt noch bei 5,50 Euro pro Quadratmeter.«
Henning Bach gibt sich nach Ende der Versteigerung zerknirscht: »Der Ausgang des Verfahrens ärgert mich als Anwohner auf jeden Fall. Das wird den Mietpreis für uns auf kurz oder lang weiter in die Höhe treiben. Solche Verfahren wie heute, bei denen irrsinnige Preise für brachliegende unbebaute Flächen geboten werden, sind Teil einer Entwicklung, die uns kaum noch Platz zum Atmen lässt.«
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