Zahl der Fälle von Fahrerflucht nimmt zu

Verkehrsanwälte schlagen Alarm

  • Lesedauer: 3 Min.

In Deutschlands Norden gibt es immer mehr Fälle von Fahrerflucht (rechtlicher Fachbegriff »Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort«). So verzeichnete Niedersachsen zwischen 2010 und 2015 einen Anstieg um 14 Prozent, in Hamburg betrug der Zuwachs 8,6 Prozent. Experten fürchten, dass die Zahlen auch bundesweit weiter steigen - obwohl hohe Strafen drohen.

Fahrerflucht schnell passiert - Warten ist Pflicht

Die Gesetzeslage erschwert die Aufklärung
Um die Fluchttendenz zu reduzieren, hat sich die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) auf dem 56. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar dafür ausgesprochen, den Unfallflucht-Paragrafen zu reformieren. Dazu Fragen & Antworten an Christian Janeczek. Rechtsanwalt in der Kanzle Roth & Partner in Dresden und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der AG Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins.

Wie viele Fälle von Fahrerflucht gibt es in ihrer Kanzlei?

Im Jahr sind es heute etwa 100 Fälle - und die Tendenz ist weiter steigend. Personenschäden kommen aber nur sehr selten vor, meistens geht es um die typischen »Parkplatzrempler«.

Was sind die Ursachen für diese Zunahme?

Vieles spricht dafür, dass die größeren Autos mit dafür verantwortlich sind. Die Fahrer sind heute immer stärker abgeschottet und können oft weder sehen noch hören, dass sie einen anderen Wagen touchiert haben. Bestenfalls spüren sie es über die taktile Wahrnehmung. Hinzu kommt: Die Autos werden größer, die Parkplätze nicht. Auch die automatischen Einparkhilfen haben die Situation nicht verbessert, die Anzahl der Parkschäden ist seit ihrer Einführung sogar gestiegen. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass der Fahrer nicht wie vorgesehen darauf reagiert.

Was raten Sie Autofahrern, die einen parkenden Wagen beschädigt haben?

Das Gesetz verlangt, dass jeder Autofahrer, der einen anderen Wagen beschädigt hat, auf dessen Halter warten und ihm seine Personalien angeben muss. Wer dies nicht tut, begeht Fahrerflucht und wird entsprechend bestraft. Auch dann, wenn er sich im Rahmen der »tätigen Reue« innerhalb der nächsten 24 Stunden nach dem Vorfall, freiwillig bei der Polizei oder dem Halter meldet.

Leider definiert das Gesetz das nicht genau. Es kommt also auf den Einzelfall an. So wird auf dem Supermarktparkplatz eine längere Wartezeit gefordert, da es wahrscheinlich ist, dass der Halter zeitnah erscheint. Beschädigt man dagegen nachts die Leitplanke auf der Autobahn, genügt eine kurze Wartezeit, da höchstwahrscheinlich niemand von der Autobahnmeisterei vorbeikommen wird. Als Richtwert würde ich tagsüber eine Wartezeit von einer Stunde empfehlen. Erscheint in dieser Zeit niemand, muss der Unfallverursacher unverzüglich zur Polizei und den Vorfall melden. Eine Visitenkarte hinter den Scheibenwischer zu klemmen, reicht nicht aus. Man kann das tun, muss aber trotzdem zusätzlich zur Polizei.

Wie beurteilen Sie das gültige Strafmaß für Fahrerflucht?

Aktuell muss man in diesem Fall mit sehr harten Strafen rechnen - und das wie gesagt auch dann, wenn man sich schnell eines Besseren besinnt und doch noch meldet. Die Strafhöhe richtet sich vor allem nach dem Ausmaß des Schadens: Ab 1300 Euro handelt es sich laut Gesetz um einen bedeutenden Schaden. Das hat in der Regel zur Folge, dass der Führerschein entzogen und eine Sperrfrist von mindestens sechs Monaten verhängt wird. Ein Schaden von 1300 Euro ist bei heutigen Autos schnell erreicht. Deswegen haben wir beim Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar eine Anhebung dieser Grenze diskutiert.

Was heißt das genau?

Die Reformvorschläge betreffen zwei Punkte: zum einen um die Anhebung der Schadensgrenze auf 10 000 Euro. Dann bekommt der Täter noch immer eine Geldstrafe und Fahrverbot von bis zu sechs Monaten, aber ihm droht zumindest kein Führerscheinentzug. Zum anderen wollen wir die »tätige Reue« reformieren. Wir sind der Meinung: Wer flüchtet, dann aber doch zurückkehrt oder zur Polizei geht, sollte straflos bleiben. Nur so hat der Flüchtende eine Motivation, sich zu stellen. Auf diese Weise können wir die Anzahl der Fahrerfluchten reduzieren und die Geschädigten bleiben nicht auf ihren Kosten sitzen - und das ist ja das eigentliche Ziel der Strafverfolgung. DAV/nd

Grundsätzlich ist der Fall klar: Wer beim Ausparken einen anderen Wagen touchiert und einfach wegfährt, begeht Fahrerflucht und damit eine Straftat. Tatsächlich wird das Vergehen mit harten Strafen geahndet - und das kann selbst dann der Fall sein, wenn man lediglich geschockt wegfährt und danach wieder umkehrt. Das bedeutet: Bereits der kleine Parkplatzrempler kann ähnlich hart bestraft werden wie ein schwerer Unfall mit großem Blech- oder Personenschaden, nach dem man sich ganz bewusst aus dem Staub macht.

Ob kleiner Kratzer oder großer Schaden: Wer ein anderes Fahrzeug beschädigt, ist in jedem Fall verpflichtet, dem Besitzer des Wagens oder der Polizei seine Personalien zu geben. Ist der Wageninhaber nicht vor Ort, muss der Unfallverursacher eine angemessene Zeit auf ihn warten.

Die genaue Wartezeit hängt von den Umständen ab und sollte tagsüber etwa eine Stunde betragen. Erscheint in dieser Zeit niemand, verlangt es das Gesetz, sich umgehend bei der Polizei zu melden. Wer nicht lange genug an der Unfallstelle wartet und lediglich seine Kontaktdaten an der Windschutzscheibe hinterlässt, begeht automatisch Fahrerflucht.

Eine kleine Brücke gibt es allerdings, die »tätige Reue«: Wenn sich der Flüchtige innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall bei der Polizei meldet, kann er den Tatbestand der Fahrerflucht nachträglich vermeiden. Leider ist das jedoch nur bei Schäden bis 1300 Euro und auch nur bei Parkplatzunfällen, also außerhalb des fließenden Verkehrs, möglich. Aber selbst die tätige Reue bleibt nicht gänzlich unbestraft.

Schon bei kleinen Vergehen drohen hohe Strafen

Auch wenn sie nicht mit böser Absicht geschieht, ist Fahrerflucht eine Straftat. Welche Strafe dem Unfallflüchtigen droht, hängt vom Tathergang und dem verursachten Schaden ab. Üblicherweise sind es mindestens eine Geldstrafe im Bereich eines Monatsnettogehalts sowie zwei Punkte in Flensburg.

Beträgt der Fremdschaden mehr als 1300 Euro, wird im Regelfall der Führerschein entzogen und eine Sperrfrist von mindestens sechs Monaten verhängt. Hinzu kommen dann drei Punkte in Flensburg. Noch härter fällt die Strafe aus, wenn Menschen beim Unfall verletzt wurden. In diesem Fall gilt das Vergehen als fahrlässige Körperverletzung, wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet.

Fahranfänger in der Probezeit müssen unabhängig von der Schadenhöhe mit einer zweijährigen Verlängerung der Probezeit rechnen und ein Aufbauseminar besuchen.

Verkehrsanwälte helfen Betroffenen zu ihrem Recht

Wer von der Polizei der Fahrerflucht bezichtigt wird, sollte unbedingt von seinem Schweigerecht Gebrauch machen, denn bereits eine unbedachte Bemerkung kann als Schuldgeständnis ausgelegt werden. Das heißt: Lediglich Angaben zur Person müssen gemacht werden, Angaben zur Sache darf und sollte man verweigern.

Es ist ratsam, schnellstmöglich einen Verkehrsanwalt einzuschalten. Dieser kann Einsicht in die Strafakte nehmen, führt die Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht. Häufig erreicht er, dass das Verfahren aufgrund von Fehlern eingestellt wird. Ist das nicht möglich, kann er dennoch das Strafmaß erheblich reduzieren und eine Höherstufung bei der Versicherung verhindern. DAV/nd

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