- Politik
- Sergej Skripal
Moskau lässt Ultimatum verstreichen
Tot aufgefundener russischer Exilant in London verschärft den Konflikt zwischen Großbritannien und Russland
London. Inmitten des diplomatischen Schlagabtauschs zwischen London und Moskau im Fall des vergifteten Ex-Doppelagenten Sergej Skripal sorgt der Tod eines russischen Exilanten in London für weitere Unruhe.
Bei dem aufgefundenen Toten handelt es sich laut Berichten vom Dienstag um einen früheren Mitarbeiter des Kreml-Kritikers Boris Beresowski. In der Affäre um den Giftanschlag verlangten Deutschland und die USA von Moskau Antworten auf die Anschuldigungen der britischen Regierung, die am Mittwoch über Sanktionen beraten will.
Russland wies am Dienstag ein britisches Ultimatum zurück und richtete seinerseits schwere Vorwürfe gegen London. Das Außenministerium in Moskau nannte die Anschuldigungen einen »schmutzigen Versuch der britischen Behörden, Russland in Verruf zu bringen«. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte: »Wir haben schon eine Erklärung abgegeben, dass das alles Quatsch ist.«
Die britische Regierung, die Moskau hinter dem Anschlag vermutet, hatte der russischen Regierung ein Ultimatum bis Dienstag um Mitternacht gestellt und mit Sanktionen gedroht. Am Mittwoch kommt der nationale Sicherheitsrat in London zusammen, um über »die nächsten Schritte zu diskutieren«, wie ein Regierungssprecher sagte.
Todesursache des Exilanten unklar
Wenige Stunden vor Ablauf des Ultimatums wurde der Tod des russischen Geschäftsmanns Nikolai Gluschkow in London gemeldet. Seine Tochter Natalia fand ihn in seinem Haus im Londoner Stadtteil New Malden gefunden, wie britische und russische Medien berichteten. Gluschkow hatte demnach für Unternehmen des Kreml-Kritikers Beresowski gearbeitet, der seinerseits 2013 unter ungeklärten Umständen nahe London gestorben war.
Die russische Zeitung »Kommersant« berichtete, der Leichnam weise »Strangulierungs-Spuren« auf. Die britische Anti-Terror-Polizei leitete nach eigenen Angaben eine Untersuchung zu dem neuerlichen Todesfall ein. Es gebe aber keine Hinweise auf eine Verbindung zum Fall Skripal.
Im Konflikt um die Vergiftung des Ex-Doppelagenten und seiner Tochter Julia waren die Fronten weiterhin verhärtet. Russlands Außenminister Sergej Lawrow verlangte am Dienstag Zugang zu den in Großbritannien sichergestellten Nervengift-Proben und beschuldigte London, entsprechende Anfragen aus Moskau abgelehnt zu haben.
»Bevor uns jemand Ultimaten stellt, sollte er seine eigenen Verpflichtungen gemäß dem internationalen Recht erfüllen«, sagte Lawrow in Moskau. Russland sei im Fall Skripal »unschuldig« und zur Zusammenarbeit bereit - wenn Großbritannien seinerseits kooperiere.
Das russische Außenministerium kündigte zugleich Vergeltungsmaßnahmen gegen mögliche britische Sanktionen an. Sollte der vom Kreml finanzierte Sender Russia Today (RT) in Großbritannien geschlossen werden, würden dies das Aus für alle britische Medien in Russland bedeuten, drohte eine Ministeriumssprecherin.
Westliche Staaten sichern Großbritannien Solidarität zu
Westliche Staaten stellten sich in den Konflikt demonstrativ an die Seite Großbritanniens und sicherten der Regierung in London ihre Solidarität zu. Es sei an Russland, »rasche Antworten auf die berechtigten Fragen der britischen Regierung zu geben«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Angaben eines Sprechers in einem Telefonat mit Premierministerin Theresa May. Die Kanzlerin verurteilte den Anschlag demnach »auf das Schärfste«.
US-Präsident Donald Trump erklärte, er vermute Moskau hinter dem Giftanschlag. Er verlange »eindeutige Antworten dazu, wie diese in Russland entwickelte Chemiewaffe in Großbritannien zum Einsatz kommen konnte«, erklärte das Weiße Haus nach einem Telefongespräch zwischen Trump mit May.
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte den »inakzeptablen« Giftanschlag und sagte May seine Unterstützung zu. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, der Einsatz eines jeden Nervenkampfstoffes sei »abscheulich« und »völlig inakzeptabel«.
Skripal und seine Tochter waren am 4. März in Salisbury südwestlich von London bewusstlos auf einer Bank aufgefunden worden. Sie wurden mit lebensgefährlichen Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Der langjährige Geheimdienstoffizier war 2006 in Russland wegen Spionage für Großbritannien zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Im Zuge eines spektakulären Gefangenenaustauschs kam er 2010 nach Großbritannien. AFP/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.