- Politik
- Fall Jan Kuciak
Slowakischer Regierungschef Fico bietet Rücktritt an
Politiker stellt Bedingungen für Amtsaufgabe - langes Zögern bei Rücktritten für Koalitionspartner zunehmend inakzeptabel
Bratislava. Der slowakische Regierungschef Robert Fico hat am Mittwochabend überraschend seinen Rücktritt angeboten. Er sei bereit, sein Demissionsangebot am Donnerstag Staatspräsident Andrej Kiska zu übergeben. Allerdings stelle er Bedingungen für seinen Amtsverzicht, erklärte Fico in Anwesenheit der Parteichefs der beiden anderen Koalitionsparteien vor Journalisten in Bratislava. Dazu gehöre, dass seine sozialdemokratische Partei Smer das Vorschlagsrecht für einen Nachfolger behalte und die Dreiparteienkoalition erhalten bleibe.
Kiskas Sprecher bestätigte noch am Abend, dass es Gespräche des Präsidenten mit Fico und den beiden anderen Parteichefs gegeben habe. Er ließ aber offen, ob das Staatsoberhaupt die Bedingungen des Regierungschefs akzeptieren werde.
Ficos Regierung war zuletzt unter steigenden Druck geraten. Für Montag war auf Antrag der Opposition bereits ein Misstrauensvotum im Parlament angesetzt. Am vergangenen Freitag hatten Zehntausende gegen die Regierung in Bratislava demonstriert. Auslöser der Krise in dem EU- und Euro-Land war der noch nicht aufgeklärte Mord am Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova.
Der am 25. Februar gemeinsam mit seiner Verlobten erschossen aufgefundene Enthüllungsjournalist Kuciak hatte mögliche Verbindungen vom mittlerweile zurückgetretenen Innenminister Robert Kalinak und wichtigen Regierungsbeamten zu italienischen Mafiagruppen und anderen zweifelhaften Geschäftsleuten untersucht. Die beiden 27-Jährigen waren nach Polizeiangaben drei Tage zuvor von unbekannten Tätern in ihrem Haus im Dorf Velka Maca im westslowakischen Bezirk Galanta im Stil einer Hinrichtung getötet worden.
Mit seinem Rücktritt will Fico überstürzte Neuwahlen verhindern. Denn diese würden nur »Chaos verursachen«, beteuerte er. Tatsächlich lassen Umfragen Zugewinne für rechtspopulistische Parteien, aber weder für die Sozialdemokraten noch die bürgerlichen Oppositionsparteien eine regierungsfähige Mehrheit erwarten. Fico nutzte seinen Auftritt auch für Kritik an Opposition und Medien. Diese würden »den Tod von zwei jungen Menschen für ihre politischen Ziele missbrauchen«.
Fico habe zu lange mit der Abberufung von Kalinak gezögert, der letztlich am Montag - zwei Wochen nach dem Doppelmord - selbst seinen Rücktritt erklärt hatte, sagte der Politologe Juraj Marusiak der Agentur TASR. »Unter diesen Umständen ist es für die kleinste Koalitionspartei Most-Hid zunehmend inakzeptabel geworden, die Regierungskoalition fortzusetzen«, erläuterte er. Inzwischen gab die von dieser Partei nominierte Justizministerin Lucia Zitnanska bekannt, sie werde auch einer Übergangsregierung ohne Fico nicht mehr angehören. Damit war offen, ob die Koalition überleben kann.
In dieser Woche hatte die slowakische Polizei zum zweiten Mal einen italienischen Geschäftsmann festgenommen, der in den Recherchen Kuciaks vorgekommen war. Grundlage sei diesmal ein europäischer Haftbefehl, den ein Gericht in Venedig erwirkt habe, berichtete die Agentur TASR unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. Dem Mann würden Drogenhandel und organisierte Kriminalität vorgeworfen. dpa/nd
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