- Kultur
- „Selbstmord-Schwestern“ an der Volksbühne
Jukebox des Todes
Susanne Kennedy beschert der Volksbühne mit »Die Selbstmord-Schwestern« ein verstörendes Ritual
Auf die hochartifizielle Oberfläche kann der Betrachter, der die visuell und akustisch verabreichte Droge in voller Gänze zu schlucken gewillt ist, die großen Fragen von Leben und Tod, von Geschlecht, von Seele und Bewusstsein projizieren. Er kann sich aber auch den eigenen Schluckstörungen widmen und sich mit dem aufsteigenden Grusel vor einer durchkonfektionierten Welt beschäftigen. Wem dies nicht gelingt, der ermüdet in der Inszenierung der »Selbstmord-Schwestern« nach dem Roman von Jeffrey Eugenides an der Volksbühne schnell an der von Regisseurin Susanne Kennedy ins Endlose gedehnten ästhetischen Idee. Auch das, immerhin, ist ein Zustand.
Ein flirrendes, glitzerndes, mit Monitoren bestücktes Palastportal hat Kennedys langjährige Bühnenbildnerin Lena Newton in den Guckkasten gebaut - ganz so, als wollte sie eine Kreuzung aus einer Großskulptur des Medienkunstpapstes Nam June Paik und einem buddhistischen Tempel kreieren und darin noch die Ästhetik der frühen Musik- und Computerspielautomaten des letzten Jahrhunderts unterbringen.
Es blitzt und blinkt jedenfalls neongrell. Bunte Stufen führen zum Portal, das selbst von Videomonitoren durchlöchert ist. Die erinnern an Nischen, in denen Gottheiten oder Gaben an Gottheiten auftauchen können wie in einem klassischen Tempel. Bei Kennedy sind diese Gottheiten junge Mädchen, Figuren aus dem Roman. Die Gaben sind, jungmädchen-kompatibel, Frisier- und Kosmetikartikel, alles natürlich in Pixelnatur.
Den zentralen Teil, den Altar also, beherrscht ein liegender nackter und lebloser Körper. Aufmerksamkeitskonkurrenz erfährt er von einer stoisch sitzenden weißhaarigen Figur im Guru-Format vor ihr. Die Figur schweigt. Sie strahlt Souveränität aus, aber auch Fragilität. Weil es im Roman und im Stück um fünf junge Mädchen geht - Cecilia (13 Jahre alt), Lux (14), Bonnie (15), Mary (16) und Therese (17) -, die im elterlichen Haus gemeinsam Selbstmord begehen, kommt dieser szenischen Anordnung der Charakter einer Totenmesse zu.
Ausgeführt wird dieses Ritual von sechs seltsamen Gestalten, die ihrerseits eine hybride Mischung von fränkischer Folkloregruppe mit indianischen und asiatischen Elementen sind, ein schrilles Cross-over indigener Kulturen. Zwei dieser Figuren stehen lediglich an den Außenseiten des Portals. Sie sind Puppen in Menschengröße und verharren im immergleichen Zustand. Den anderen vieren hat Kennedy ein sparsames Bewegungsrepertoire sowie die bei ihr schon zum Markenzeichen gewordene Synchronsprechtechnik aufgegeben. Lippensynchron bewegen sich die Münder, wenn aus den Lautsprechern Fragmente des Romans dringen.
Am Anfang ist dies akustisch schwer zu verstehen - entweder eine seltsame ästhetische Entscheidung oder aber den Mängeln der Tonanlage geschuldet. Dann pegelt sich das Ohr ein und vernimmt Erzählungen darüber, wie die toten Mädchen aufgefunden werden, Beschreibungen ihrer Körperteile und kurze Reflexionen über innere Zustände. Kennedy setzt ins erzählende Theater um, was die Fotografin Cindy Sherman seit mittlerweile vier Jahrzehnten mit ihren Serien und Installationen untersucht: Fragen nach Weiblichkeit, Geschlecht, (weiblicher) Identität.
Die von Kennedy kultivierte Sprechweise - der von den Mündern getrennte Ton - sorgt für große Distanz, für eine Entfremdung. Mit fast klinischem Blick schaut man auf diese werdenden Toten. Emotionen wie Grauen, Angst und Erschrecken werden durch die bonbonfarbene Ästhetik, die maskierten Gesichter und das monotone verkünstelte Sprechen getilgt. Es entsteht eine Art dreidimensionaler Comic, näher an der bunten Welt der asiatischen Mangas als an den westlich geprägten Disney-Universen.
Kennedy pflanzt darin Erlösungsszenarien ein. Die Videoanimation eines digital erzeugten nackten menschlichen Körpers verheißt, frei nach den Schriften des LSD-Pioniers Timothy Leary, psychische Entgrenzungsmöglichkeiten. Weitere Bewusstseinsschübe werden durch Verweise auf das tibetanische Totenbuch ausgelöst.
Eingebettet ist das alles aber in den Sound einer süßlich wirkenden omnipotenten Instanz. Kennedy lässt eine (zukünftige) Gesellschaft erstehen, in der der Einzelne sich einkuschelt in eine Wohlfühlillusion - und dabei derart infantilisiert wird, dass er deren totalitären Charakter widerspruchslos akzeptiert. Kennedy veranstaltet Sedierungstheater. Sie weckt dabei zugleich die Lust an wie den Frust über diese Sedierung - durchaus eine Kunst.
Diese Arbeit scheidet die Geister. Kennedy findet eine treue Gemeinde, die sich einsaugen lässt in ihre post-psychedelischen Performances. Sie findet Ablehnung bei denen, die ihr die Austreibung jeglicher schwitzender Dramatik nicht verzeihen. Immerhin besetzt sie eine eigene künstlerische Position. Ein Glücksfall für die neue Volksbühne, selbst wenn die Arbeit nur ein Einkauf ist, aufgeführt bereits in der vergangenen Spielzeit an den Münchner Kammerspielen unter dem früheren Castorf-Dramaturgen Mathias Lilienthal.
Nächste Vorstellungen: 17., 18. März
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