Ganz Holland im Tulpenrausch

Einige Wochen lang dreht sich alles um das farbenfrohe Liliengewächs.

  • Christiane Neubauer
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie heißen Mickey Mouse, Rambo, Armani und Paul McCartney. Es gibt sie in weiß, hellgelb, leuchtend orange, knallrot und rosa bis dunkelviolett, lilienförmig bis gefranst, zweifarbig und sogar mit doppelter Blüte. Sie lösten den ersten Börsencrash der Weltgeschichte aus, sind neben Windmühlen und Holzschuhen das bekannteste Symbol der Niederlande und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. 2017, so die Statistik, wurden in Holland über zwei Milliarden Tulpen produziert.

Kein Wunder also, dass unsere Nachbarn so viel Aufsehen um den Frühjahrsblüher machen. Der Startschuss für die Tulpensaison fällt jedes Jahr bereits im Januar. Dann versammeln sich Tausende Menschen auf dem Dam, dem Platz vor dem Königsschloss in Amsterdam, um sich von einem »Feld«, auf dem nur wenige Stunden zuvor in mehrstündiger Handarbeit rund 200 000 Tulpen »gepflanzt« worden waren, bunte Sträuße zu pflücken. Veranstalter ist die Stiftung Tulpen Promotie Nederland, der gut 500 niederländische Tulpenzüchter angehören.

Nach dem Spektakel heißt es für Blumenfreunde erst mal warten. Warten, bis es warm genug ist, dass mehr als eine halbe Million Tulpenzwiebeln aufblühen, die jeden Herbst in Beeten und Blumenkübeln an öffentlichen Orten der Stadt sowie in den Gärten besonderer Gebäude in der Erde versenkt werden. Auf die Frage, wann es soweit ist, lächelt Manon Zondervan von Amsterdam Marketing. »Das hängt natürlich vom Wetter ab. Manchmal ist es schon Ende März soweit, ein andermal erst Mitte oder Ende April. Wir können die Natur nicht überlisten.« Doch da ein Festival mit verschiedensten Veranstaltungen natürlich einen Zeitraum braucht, wurde der Startpunkt für das Tulpenfestival in diesem Jahr auf den 31. März festgesetzt.

Während blühende Tulpen in Amsterdam jedoch nur Farbtupfer zu setzen vermögen, verwandelt sich die Region südwestlich der Stadt bis hin zur Küste in ein einziges Blumenmeer. Die sogenannte Bollenstreek umfasst in etwa das Gebiet zwischen den Städten Leiden und Haarlem und den Sanddünen der Nordseeküste. Hier züchten die Tulpenbauern ihre Produkte und jedes Jahr im Frühjahr entsteht dabei ein spektakuläres Bild. Erst blühen verschiedenfarbige Krokusse auf den Feldern, dann Narzissen, Hyazinthen und Tulpen. Millionen Blumen in allen Farben und Schattierungen stehen dann in Blüte - eine wahre Farbexplosion! Höhepunkt der Tulpensaison an der Bollenstreek ist der alljährliche Blumenkorso: eine Parade blumengeschmückter Prunkwagen, die von Noordwijk nach Haarlem rollen.

Während im Mai die letzten Tulpen auf den Feldern die Blütenblätter abwerfen, kann man sich im niederländischen Nationalmuseum, dem Rijksmuseum, in Amsterdam - unabhängig von Jahreszeit und Wetter - das ganze Jahr über Tulpen ansehen: in Öl gemalt, mit Goldfäden gestickt oder als aus Perlmutt geschnitzte Intarsie auf einem antiken Sekretär. Ein Großteil der Kunstgegenstände, die hier ausgestellt sind, stammt aus dem sogenannten Goldenen Zeitalter der Niederlande im 17. Jahrhundert, als nicht nur Künstler wie Rembrandt und Vermeer zu Ruhm kamen, sondern auch die Tulpe. »Damals galten die exotischen Blumen, die ursprünglich aus Kleinasien stammen, als ein Zeichen von Ansehen und Wohlstand«, berichtet Museumsführer Robert Uterwijk. Besonders wertvoll seien Sorten mit gemusterten Blütenblättern gewesen. »Die Zwiebeln einiger Exemplare erzielten Preise, die seinerzeit in Amsterdam für ein Grachtenhaus gezahlt wurden.« Kein Wunder also, dass die Tulpe auch von Künstlern in den Fokus genommen wurde: als Motiv für ein pompöses Stillleben, als filigranes Rankenmuster auf Gobelins oder Inspiration für eine kostbare Einlegearbeit.

Windige Spekulationsgeschäfte mit den Tulpenzwiebeln trieben die Preise letztlich jedoch in so astronomische Höhen, dass die Blase platzte und der Markt innerhalb weniger Tage zusammenbrach. Die sogenannte Tulpenmanie im Februar 1637 gilt als erste gut dokumentierte Finanzkrise in der Wirtschaftsgeschichte. Der rasche Preisverfall ruinierte viele Händler und fügte der Wirtschaft in Holland schweren Schaden zu. Anschließend normalisierte sich der Handelswert der Pflanzen wieder.

»Wenn der Frühling kommt, dann schick ich dir Tulpen aus Amsterdam« - wer kennt ihn nicht, den Schlager im Walzertakt? Roy Black, Rudi Carrell und auch Kinderstar Heintje trällerten Versionen des Liedes in den 70er Jahren. Sie alle lagen damit jedoch daneben, denn die meisten Tulpen, die bei uns in den Vasen landen, werden nicht von Amsterdam, sondern von Aalsmeer aus in alle Welt verschickt. In der Kleinstadt etwa 13 Kilometer südwestlich von Amsterdam hat Flora Holland ihren Sitz. Die Genossenschaft ist nach eigenen Angaben der größte Blumenhändler der Welt. Jeden Tag kommen hier Millionen verschiedenster Blühpflanzen unter den Hammer. Wer mag, kann dabei zusehen. Es lohnt sich! Allein die Dimensionen sind beeindruckend. Die Fläche des Warenlagers entspricht der von 200 Fußballfeldern. Die meisten der rund 1700 Mitarbeiter von Flora Holland sind daher mit Elektrofahrzeugen unterwegs. Sie ziehen rollende Regale hinter sich her, auf denen Kübel und Kisten voller Blumen stehen. »Alle Transportwagen sind mit Labeln versehen. Die Mitarbeiter scannen den Code ein und erfahren dann über Kopfhörer, zu welchem Kühllaster die Ware gebracht werden muss«, erklärt Besucherbetreuerin Marion ten Pas das für Außenstehende völlig chaotisch wirkende Gewimmel in der Halle.

Im Frühjahr werden vor allem mit Tulpen millionenschwere Umsätzen gemacht. »Täglich wechseln etwa zehn Millionen Tulpen ihre Besitzer«, weiß Marion ten Pas. Auch bei der Blumenversteigerung, dem Bloemenveiling, kann man zusehen. Witzig: Die holländische Art des Bietens beginnt mit dem höchsten Preis. Der sinkt dann stetig, bis jemand per Knopfdruck am PC zuschlägt - eine Zitterpartie für den Einkäufer. Denn drückt er zu schnell, zahlt er mehr, als er müsste. Wartet er zu lange, geht er womöglich leer aus.

Die meisten Touristen, die sich am Morgen die »Wallstreet der Blumen« - so wird Flora Holland von den Einheimischen augenzwinkernd genannt - angesehen haben, fahren von hier aus weiter in den Nachbarort Lisse, wo die Region mit einem weiteren Superlativ aufwartet - dem Keukenhof. Die Parkanlage gilt als größte Blumenschau der Welt. Jeden Frühling entfalten hier mehr als sieben Millionen Tulpen, Narzissen und Hyazinthen und andere Frühlingsblüher ihre farbige Pracht - allerdings nur acht Wochen lang. Tausende Gartenlieber aus aller Welt kommen alljährlich auf den Keukenhof, um das Blütenmeer zu sehen. Einsam ist man deshalb niemals. Wer dennoch - etwa zum Fotografieren - ein wenig Ruhe sucht, hat wochentags die besten Chancen, oder ganz früh am Morgen. »Wir haben in den vergangenen zwei Jahren erstmals seit der Gründung 1949 bedeutende Umbauten vorgenommen, die vor allem den Besuchern zugutekommen und den Park noch schöner und noch großzügiger werden lassen«, wirbt Keukenhof-Direktor Bart Siemerink, der auch 2018 wieder mehr als eine Million Besucher erwartet. Es wird also in vielerlei Hinsicht ein Rekordjahr für unsere Nachbarn und ihr nationales Symbol - ein Wahnsinns-Tulpenjahr!

Infos

Das Tulpenfestival in der Hauptstadt Amsterdam beginnt dieses Jahr am 31. März.
www.iamsterdam.com.

Die längste Tulpenroute von Holland liegt im Noordoostpolder, einer Region in der Provinz Flevoland. Sie ist über 100 Kilometer lang und führt durch Felder, auf denen zwischen Mitte April und Mitte Mai unzählige Tulpen in allen Farben blühen. Die sogenannte Bollenstreek zählt laut National Geographic im Frühjahr zu den schönsten Routen der Welt. Sie ist deutlich ausgeschildert und kann mit dem Auto oder dem Fahrrad erkundet werden. www.holland.com

Blumenauktion von Flora Holland:
www.royalfloraholland.com/de

Keukenhof:
www.keukenhof.nl/de

Besonderer Tipp:
Am 21. April findet im Herzen der »Bollenstreek« eine Blumenparade statt. Sie startet um 9.30 Uhr im Seebad Noordwijk. Der Umzug besteht aus 20 Prunkwagen und mehr als 30 reich geschmückten Luxusautos. Die Parade kann auf einer Strecke von 42 Kilometern zwischen Noordwijk und Harlem bestaunt werden. www.bloemencorso-bollenstreek.nl/de.

Allgemeine Informationen:
www.iamsterdam.com, www.ichliebetulpen.de, www.holland.com

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