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Blinder Fleck in der Lieferkette
Die Arbeitsbedingungen im Transportsektor sind prekär - auch bei Fairtrade-Gütern
Der faire Handel boomt in Deutschland: 1,2 Milliarden Euro wurden 2016 in der Bundesrepublik für Produkte mit dem Fairtrade-Siegel ausgegeben - so viel wie nie zuvor. Hauptsächlich für Kaffee, Kakao, Bananen und Textilien. Die Öffentlichkeit ist sensibler geworden für die Arbeitsbedingungen von Kleinbäuer*innen und Beschäftigten bei den Lieferanten transnationaler Unternehmen. Erschütternde Bilder wie die vom Einsturz des Rana-Plaza-Hochhauses 2013 in Bangladesch oder den Selbstmorden chinesischer Arbeiter*innen in den Fabriken des Apple-Zulieferers Foxconn haben dazu beigetragen, dass die Zustände in den Produktionsstandorten der Textil- oder Elektronikindustrie im Globalen Süden von den Konsument*innen im Globalen Norden stärker hinterfragt werden.
Die Arbeitsbedingungen im Transportwesen sind in dieser Debatte jedoch immer noch ein blinder Fleck. Kaum jemand fragt, unter welchen Bedingungen jene arbeiten, die dafür sorgen, dass die Ware bei uns in den Einzelhandel gelangt. Dabei gibt es weltweit Millionen Beschäftigte in der Containerschifffahrt, in Umschlaghäfen, im Eisenbahn- und Lkw-Fernverkehr, in Logistikzentren und Lieferdiensten - überwiegend unter prekären Bedingungen.
Wichtigster Verkehrsträger für den weltweiten Handel ist die »Kauffahrteischifffahrt«, ein altmodisches Wort für eine hochmoderne Branche, die seit jeher wie keine andere Vorreiter der Globalisierung war. 90 Prozent des weltweiten Handels erfolgen über den Seeweg. Rund neun Milliarden Tonnen Güter, größtenteils in Containern, werden jedes Jahr auf rund 90 000 Frachtschiffen transportiert - was, um zwei Vergleichszahlen zu nennen, zufällig auch der Menge an Müll entspricht, den die Menschheit Jahr für Jahr in die Meere kippt, oder auch der Weltplastikproduktion von 1950 bis heute.
Lang schon rekrutiert die Branche ihr Personal auf einem weltweiten Arbeitsmarkt. Seeleute und Hafenarbeiter*innen waren auch die ersten Beschäftigtengruppen, die sich grenzüberschreitend gewerkschaftlich organisierten - ein gemeinsamer Arbeitskampf niederländischer Hafenarbeiter*innen und britischer Seeleute in Rotterdam 1896 war die Geburtsstunde der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF.
1,65 Millionen Seefahrer*innen arbeiten weltweit in der Handelsschifffahrt - die meisten davon ohne Tarifverträge. Für immerhin rund 310 000 von ihnen gelten die internationalen Tarifverträge der ITF und bilden damit die bis heute erfolgreichste gewerkschaftliche Antwort auf die kapitalistische Globalisierung. Dieses bislang einzige weltweit gültige Tarifvertragssystem wird durch ein internationales Netz von ITF-Inspektoren in den wichtigsten Welthandelshäfen kontrolliert und gegebenenfalls auch mit Hilfe von Boykottmaßnahmen der Hafenarbeiter*innen durchgesetzt.
Aufgrund der wachsenden Macht der ITF im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen setzten immer mehr Reedereien nach dem zweiten Weltkrieg auf die globale Tarifflucht - besser als Ausflaggung bekannt. Indem sie ihre Flotten in Schiffsregistern sogenannter Billigflaggenstaaten wie Panama und Liberia anmeldeten, konnten sie nationale Schutzmechanismen wie Arbeitsgesetze und Tarifverträge systematisch unterlaufen. Ein Trend, der bis heute anhält und durch neue Weichenstellungen, wie die Einrichtung nationaler Zweitregister, verstärkt wurde - diese erlauben es, Besatzungen außerhalb des nationalen Arbeits- und Tarifrechts zu beschäftigten. Hinzu kamen sogenannte Crewing oder Manning Agencies, global agierende Personaldienstleister, die Seeleute weltweit unter Vertrag nehmen und an die Reedereien »verleihen«.
Auch die große Mehrheit Fairtrade-zertifizierter Waren aus den Ländern des globalen Südens werden auf Handelsschiffen transportiert. Dennoch ist die Diskussion um die Einbeziehung der Arbeitsbedingungen von Seeleuten und anderen Transportarbeiter*innen relativ jung. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Bewegung für fairen Handel hat ihre Ursprünge in christlichen und ökologisch-alternativen Kreisen, die der Gewerkschaftsbewegung sozial und kulturell nicht sehr nahestanden. Lange Zeit standen fast ausschließlich Kleinbäuer*innen im Fokus ihrer Bemühungen, erst viel später rückten auch Textilarbeiter*innen in den Blick. Immerhin gibt es seit einigen Jahren eine stärkere Diskussion, die gesamte Lieferkette zu berücksichtigen - hier vor allem die Arbeitsbedingungen in der Handelsschifffahrt.
Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten der Akteure des »fairen Handels« recht begrenzt: Nur eins von 55 000 Produkten ist mit dem Siegel einer der Mitgliedsorganisationen des internationalen Dachverbands Fairtrade Labelling Organizations International (FLO) versehen. Die gesamte globale gerecht gehandelte Fracht eines Jahres hätte somit Platz auf einem kleinen Containerschiff - ernüchternder kann man das geringe Druckpotenzial dieses Sektors auf die Großreedereien kaum illustrieren. Fairen Handel mit fairem Transport kombiniert die 2007 von drei Enthusiasten gegründete niederländische Kleinreederei »Fairtransport«, die mit drei Frachtseglern Kaffee und Rum über den Atlantik schippert. Zweifellos eine sympathische wie auch romantische Geschäftsidee, aber im Kontext des globalen Handels nicht mehr als eine winzige Insellösung.
Überlegungen, bei der nächsten Überarbeitung der Standards das Thema »Arbeit auf See« zu integrieren gibt es gleichwohl, erfährt man bei Fairtrade Deutschland, dem hiesigen Ableger der FLO mit Sitz in Köln. »Fairtrade strebt langfristig an, mit dem Siegel zu dokumentieren, dass die Ware nicht nur fair produziert, sondern auch fair und clean transportiert wurde«, sagt Sprecherin Edith Gmeiner und verweist auf ein 2017 veröffentlichtes Positionspapier zum Schiffstransport. Hier wird der Schwerpunkt klar auf politische Lobbyarbeit gesetzt. So fordert die Organisation von der Bundesregierung, eine verbindliche Berichtspflicht zur Nachhaltigkeit in Unternehmen einzuführen und diese gesetzlich in die Verantwortung entlang ihrer Lieferketten zu nehmen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung könnte die Ratifizierung des 2008 von der UN-Vollversammlung beschlossenen Zusatzprotokolls zum UN-Sozialpakt sein. Dieses gibt Betroffenen die Möglichkeit, bei Verstößen gegen soziale Menschenrechte ein Verfahren bei der UNO zu eröffnen, wenn nationale Rechtswege ausgeschöpft sind. Bislang haben 22 Staaten das Abkommen ratifiziert, nicht aber die Bundesrepublik Deutschland.
Auch bei Deutschlands größtem Importeur gerecht gehandelter Lebensmittel, der Wuppertaler GEPA, hat man das Thema »Fairer Transport« auf die Agenda gesetzt. »Fairness entlang der ganzen Wertschöpfungskette ist auch für uns eine Herausforderung«, sagt Unternehmenssprecherin Brigitte Frommeyer. Das betreffe auch den Transport. Doch die Einflussmöglichkeiten seien begrenzt: Im Jahr importiert die GEPA rund 500 Container, selten befinden sich mehr als ein oder zwei Behälter auf einem Schiff. Allerdings lege man Wert darauf, mit Reedereien zu arbeiten, die ihre Flotten in Europa registriert haben, wie der französischen CMA CMG. Beim Lkw-Transport kooperiert die GEPA mit der DB-Tochter Schenker, die mit ver.di Tarifverträge abgeschlossen hat. Zudem diskutiere die hauseigene »Grundsatzabteilung« seit einiger Zeit die Frage, wie man als Fair-Handels-Unternehmen langfristig stärker auf die Arbeitsbedingungen auch im Transportwesen Einfluss nehmen könne. Innerhalb der Netzwerke des Fairen Handels unterstütze man die Weiterentwicklung der Kriterien auch mit Blick auf den Transport. »Wichtig wäre für uns, dass hier allgemeine politische oder gesetzliche Rahmen festgesetzt werden«, betont Frommeyer.
Hier sind aber in näherer Zukunft wohl weder in Berlin noch Brüssel große Sprünge zu erwarten. Der letzte Anlauf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Lkw-Transportsektor kam von den Gewerkschaften, die 2015 eine Europäische Bürgerinitiative auf den Weg brachten. Damit sollte die EU-Kommission verpflichtet werden, striktere Kontrollen zur Einhaltung von Pausen- und Ruhezeiten durchzusetzen, den Unterbietungswettbewerb bei öffentlichen Ausschreibungen zu beenden und wirksame Maßnahmen gegen Briefkastenfirmen einzuleiten. Die Initiative scheiterte, weil sie die erforderlichen eine Million Unterschriften nicht erreichte.
Wo Großorganisationen wie ver.di und Co. gegen eine Wand fahren - was können da kleine Initiativen ausrichten? Sind sie überhaupt mehr als eine Nischenbranche, die einer überschaubaren Zielgruppe vor allem eins verkauft - ein gutes Gewissen? Vielleicht ist ihr wichtigster Beitrag, dass sie exemplarisch, wenn auch in sehr begrenzten und geschützten Bereichen, zeigen, dass faire und solidarischere Formen internationalen Wirtschaftens im Prinzip möglich sind. Wenn heute 3,8 Prozent des in Deutschland verkauften Kaffees zu gerechten Bedingungen vermarktet werden, ist das der Beweis, dass Kaffee grundsätzlich fair gehandelt werden kann. Einen wirksamen Hebel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen breiter Beschäftigtengruppen, gar im Transportsektor, bietet der faire Handel aber sicher nicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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