Eine Rose für 1,50 ist nicht fair

Der LINKE-Europaabgeordnete Helmut Scholz hat den Wettbewerb »EU-Stadt für fairen und ethischen Handel« mit initiiert

  • Florian Brand und Marie Frank
  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Scholz, trinken Sie Kaffee?

Ja, klar. Ist mein Lebenselixier.

Helmut Scholz
Helmut Scholz ist Mitglied der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im EU-Parlament. Als Vize-Vorsitzender der Arbeitsgruppe Fairer Handel hat er den EU-Fairtrade-Wettbewerb entscheidend vorangetrieben und vertritt das Europaparlament in der Jury des Preises. Im Ausschuss für Internationalen Handel setzt sich Helmut Scholz für faire und ethische Wirtschaftspolitik ein. 

Und ist der fair gehandelt?

In der Regel ja. Wenn ich ihn selber kaufe, achte ich schon darauf, und im Europäischen Parlament ist der Kaffee seit anderthalb, zwei Jahren fair gehandelt.

Wenn der normale Kaffee drei Euro billiger ist, greifen Sie dann trotzdem zum Fair Trade Produkt?

Ja. Ich kann es mir ja auch leisten.

Da sind Sie ja eher die Ausnahme, oder? Das kann schließlich nicht jeder.

Das ist ein Problem. Genau da fängt es an, bei der Frage, wie Wertschöpfungsketten organisiert werden und dass Fair Trade eigentlich günstiger sein müsste. Da sind wir bei der Preisgestaltung, wie die Preise überhaupt zustande kommen, ob die Transportwege mit eingerechnet werden und so weiter.

Wie könnte man es denn günstiger machen?

Günstiger kann man es nur machen, indem man Fair Trade in einer Übergangsphase subventioniert. Oder aber indem Handelsketten bestimmte Preisverschiebungen zugunsten Fair Trade vornehmen. Aber da stehen wir in der Marktwirtschaft natürlich vor einem dicken Brett, was zu bohren ist.

Ist das denn realistisch?

Na ja, wenn man sich die verschiedenen Projekte weltweit anschaut, zeigt sich, dass sich alle bewusst sind, dass wir nicht endlos so weiter leben und arbeiten können. Dass man hier umdenken muss. Und wenn das auch der Handel sowie die Politik begreifen, dann ist das schon realistisch. Da können wir einen Beitrag leisten.

Mittlerweile gibt es etliche Fair-Trade-Siegel. Wie sinnvoll ist es, jetzt einen weiteren Preis aus dem Boden zu stampfen?

Es ist ein Instrument, um in der Öffentlichkeit darauf hinzuwirken, auf Fair Trade umzusteigen. Um eine bewusste Wahrnehmung sowohl bei Anbietern als auch bei Konsument*innen zu fördern, wie ihre Produkte eigentlich gehandelt werden. Es ist mehr als ein Siegel. Die Städte werden dadurch angeregt, vor allem Fair-Trade-Produkte anzubieten und damit Druck auf die Industrie auszuüben.

Was ändert sich dadurch im Alltag für die Verbraucher*innen?

Ich hoffe, dass dadurch der öffentliche Diskurs über sinnvolles Konsumieren angeregt wird. Mir liegt weniger an dem Wettbewerb als an der gesellschaftlichen Debatte darüber, wie wir unseren Planeten ausbeuten, wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die menschenrechtlichen Situationen in den Ländern sind.

Also geht es vor allem darum, ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen?

Auch, aber nicht nur. Es geht auch um konkrete Festlegungen in den internationalen Handelsvereinbarungen. Dass Fair Trade ein Kriterium wird, das unbedingt zugrunde gelegt werden muss. Wenn der gesellschaftliche Nachhaltigkeitsdiskurs in das harte Geschäft von Handelspolitik hineinwirkt, können wir die Realität verändern.

Wie kam es zu dem Projekt?

Wir haben im Europäischen Parlament eine Arbeitsgruppe für fairen Handel. Und es gibt eine Initiative im Ausschuss der Regionen, die sich für eine noch stärkere Bewusstseinsbildung in der EU einsetzt. Als einer der stellvertretenden Vorsitzenden dieser Arbeitsgruppe habe ich mich darum gekümmert, den deutschen Preis für die Hauptstadt des Fairen Handels auch auf EU-Ebene auf die Beine zu stellen. Die EU-Kommission hat dann überraschend schnell eingewilligt.

Wie sind Sie zu dem Thema internationaler Handel gekommen?

Eigentlich wollte ich klassische Außenpolitik machen. Aber da bin ich nicht der Einzige, also mussten wir uns in der Fraktion einigen, wer was macht.

Das heißt, Sie mussten eher dazu überredet werden?

Nein, das nicht. Handelspolitik gehört natürlich zur Außenpolitik dazu, aber ich bin kein ausgebildeter Ökonom. Man muss sich auf das Gebiet einlassen und dazulernen. Seit dem Lissabon-Vertrag gab es eine entscheidende Kursänderung: Heute vollzieht sich vieles auf dem Gebiet der Welthandelspolitik. Insofern war es die richtige Entscheidung, dieses Aufgabenfeld in Angriff zu nehmen. Hier besitzt die EU Entscheidungskompetenz. Die LINKE muss sich auf dieses harte neoliberale Feld vorwagen und alternative Lösungen entwickeln. Dazu gehört auch die Konzentration auf den fairen Handel.

Apropos neoliberales Feld. Geht es bei dem Wettbewerb auch darum, neue Exportmärkte für EU-Produkte zu erschließen?

Wenn fairer Handel zum Grundprinzip internationaler Handelsbeziehungen wird, dann muss natürlich auch berücksichtigt werden, wie die Produkte bei uns produziert werden. Dass auch hier faire ökologische, beschäftigungs- und sozialpolitische Kriterien gelten.

Wie ist das in Deutschland?

Dass hier im Verhältnis zu anderen EU-Staaten unter niedrigen Lohnkosten produziert wird - dadurch sind wir Exportweltmeister und Marktführer innerhalb der EU -, hat natürlich auch damit zu tun. Es geht darum, wie die Handelsbeziehungen der EU, die ja schon in sich Marktverzerrungen zulässt, in Bezug auf Drittmärkte aussehen müssen. Wie wir dazu beitragen können, dass Drittländer eine Chance haben, Veredelungsprozesse in der eigenen nationalen oder regionalen Wertschöpfung vorzunehmen.

Das ist momentan nicht oft der Fall.

Das ist viel zu wenig, natürlich.

Woran liegt das?

Das liegt an der Marktwirtschaft. Die Profitrate entscheidet.

Welche Rolle spielen Zölle in diesem Zusammenhang?

Das Grundmodell des Neoliberalismus ist: Alle Zölle weg, freier Handel für jeden. Und der ist nicht fair. Weil die Arbeitsproduktivität in den entwickelten Industriestaaten so weit fortgeschritten ist, dass die anderen gar keine Chance haben aufzuholen. Wir müssen also diesen Ländern eine schnellere eigene Entwicklung ermöglichen.

Wie könnte man denn erreichen, dass beispielsweise der komplette Kaffee vor Ort produziert wird und nicht nur die Bohnen angebaut werden?

Das ist das, was wir eigentlich wollen. Aber dabei müssen wir auch an die Arbeitsplätze hierzulande denken, beispielsweise die der Arbeiter in den Röstereien. Wir können ja nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Das heißt, wir müssen die Welthandelsbeziehungen unter den Aspekten Beschäftigung, Umwelt und Produktionsbedingungen neu strukturieren.

Was für Umstrukturierungen wären das?

Also erst einmal, dass bei der Preisbildung Transportwege mitzurechnen sind. Das würde großen Einfluss darauf nehmen, ob wirklich alles über den Atlantik geschippert werden muss. Beispielsweise kommt das Gros aller Rosen, die in deutschen Blumenläden verkauft werden, aus Kenia und Ecuador. In dem Preis für eine Rose - ich weiß nicht, 1 Euro oder 1,50 Euro - spiegelt sich das nicht wider. Das muss aber mitgedacht werden, wenn man fairen Handel will.

Was ist der nächste Schritt?

Jetzt sind wir erst mal in den Wettbewerb eingestiegen. Danach muss dieses Thema in die Handelspolitik eingebettet werden. Fair Trade muss zum Maßstab des internationalen Handels werden. Das ist aber nur gegen Widerstände erreichbar. Wir arbeiten daran, dass in die Handelspolitik im Bereich Nachhaltigkeit durchsetzbare Instrumente eingeführt werden. Wenn die Kriterien nicht erfüllt werden, muss es auch Sanktionen geben. Die Wirtschaft wehrt sich natürlich dagegen. Das ist ein ständiger politischer Kampf, dafür braucht man Mehrheiten, sowohl auf gesetzgeberischer als auch auf der exekutiver Seite.

Ist das denn realistisch?

Die Frage ist, über welche Zeiträume wir sprechen. Ich glaube schon, dass wir in zehn Jahren einen entscheidenden Schritt vorangekommen sein werden. Wir können nicht auf der einen Seite sagen, dass wir keine Flüchtlinge mehr aufnehmen wollen, während wir auf der anderen Seite durch unsere Wirtschaftspolitik eine Situation herstellen, in der viele ihre Länder verlassen müssen, weil sie da nicht mehr arbeiten und leben können. Bei diesen Fragen von Ursache und Wirkung sind sich, glaube ich, viele im Stillen einig, dass wir da eingreifen müssen. Allerdings entscheidet immer die Realisierung des Euro am Markt zur aktuellen Stunde über Bereitschaft oder Nichtbereitschaft.

Vermutlich ist der Widerstand dagegen recht groß, insbesondere von Wirtschaftsverbänden.

Die Wirtschaftsverbände wollen keinerlei Verpflichtung, maximal Selbstverpflichtung. Das funktioniert ja so schön. Das sehen wir ja bei Volkswagen oder beim Dieselgate. Es gibt also erbitterten Widerstand dagegen, Handelspolitik mit entwicklungspolitischen Erfordernissen und sozialen und menschenrechtlichen Aspekten zu verbinden.

Lässt sich das überhaupt trennen?

Ich glaube, das sich das in einer Phase, in der wir globale Wertschöpfungsprozesse haben, nicht mehr trennen lässt. Deshalb muss auch in der Welthandelsorganisation WTO ein Umdenken stattfinden. Die Antwort der neoliberalen Regierung in Argentinien war, die Unternehmen mit in die WTO reinzunehmen. Aus meiner Sicht ein ganz gefährlicher Zug. Wir brauchen vielmehr einen Diskurs darüber, wie die Parlamente die Minister in der WTO in die Verantwortung nehmen können, die soziale, produktive und umweltpolitische Lage in den Ländern zum Ausgangspunkt von Vereinbarungen zu nehmen.

Das heißt, Sie kämpfen eigentlich gegen den neoliberalen Zeitgeist?

Das ist meine Aufgabe. Die LINKE muss sich diesen harten Wirtschaftsrealitäten stellen. Wenn wir dort nicht entscheidend vorankommen, dann können wir viel über Soziales und Gutes reden. Wir müssen im Wirtschafts-, Währungs- und Industriebereich sowie in der Handelspolitik viel stärker versuchen, unsere alternativen Ideen durchzusetzen, sodass wir wirklich einen Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft leisten.

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