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Warum brennst du, Konsument?

Die APO protestierte vor 50 Jahren mit Anschlägen auf Kaufhäuser gegen das Morden der USA in Vietnam

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 6 Min.
In der Nacht zum 3. April 1968 explodierten in den Frankfurter Kaufhäusern Schneider und Kaufhof je zwei Brandsätze, bestehend aus je zwei Getränkeflaschen mit 1,5 Litern Kraftstoff. Das Signal eines Reiseweckers bringt ein Gasgemisch zur Explosion, das die Flaschen aufreißt und das Benzin entflammt. Die Sprinkleranlagen löschen wie geplant die Brände schnell, und es kommt nur zu geringen Sachschäden. In derselben Nacht meldet sich eine Anruferin bei der Deutschen Presseagentur (dpa) und erklärt: »Im Kaufhof und bei Schneider brennt es. Wenn Sie sich dafür interessieren, dann kann ich Ihnen sagen, daß es ein politischer Racheakt ist«. Bereits am 4. April nahm die Polizei nach einer Denunziation vier Tatverdächtige in Frankfurt fest: Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Horst Söhnlein und Thorwald Proll.

Elf Monate zuvor, am 22. Mai 1967, brannte in der belgischen Hauptstadt Brüssel während der Öffnungszeit einer Sonderausstellung mit amerikanischen Konsumgütern ein Kaufhaus vollständig nieder. Mehr als 300 Menschen starben, darunter viele Angestellte. Die Ursache des Brandes konnte nie eindeutig geklärt werden. Brandstiftung wurde wegen der antiamerikanischen Stimmung auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges in Betracht gezogen, konnte aber nie belegt werden.

Zwei Tage später, am 24. Mai, kursierte im Umkreis Deutschlands bekanntester Wohngemeinschaft in jener Zeit - der Kommune 1 - ein satirisches Flugblatt mit der Überschrift: »Warum brennst Du Konsument?« In diesem Flugblatt heißt es unter anderem: »Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brüssel eine amerikanische Woche eröffnet: ein ungewöhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole: Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Grossstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen.« Zudem war dort zu lesen: »Skeptiker mögen davor warnen, ›König Kunde‹, den Konsumenten, den in unserer Gesellschaft so eindeutig Bevorzugten und Umworbenen, einfach zu verbrennen ... wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Mass nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen.«

Die Massenpresse, allen voran die »Bild«-Zeitung, berichtete damals detailliert und parteiisch über die »linken Chaoten« um Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel, Reiner Langhans und andere libertinär antiautoritäre Aktivisten und forderte eine strenge Bestrafung wegen der Aufforderung zur Brandstiftung. Die Berliner Staatsanwaltschaft sah dies ähnlich und erhob Anklage.

Während des Prozesses - Verteidiger der Angeklagten war der spätere RAF-Mitbegründer Horst Mahler - hatten die philologischen Gutachter wegen des surrealistisch-satirischen Charakters des Flugblattes wenig Mühe, einen unmittelbaren Aufforderungscharakter zur Brandstiftung zu bestreiten. Auch Günter Grass und Walter Jens unterstrichen die satirisch-fiktionale Ausrichtung des Flugblattes. Der Prozess endete am 22. März 1968 mit Freispruch, weil sich aus dem Flugblatt kein zwingender Aufruf zur Brandstiftung ableiten ließ und es sich nach Auffassung des Gerichtes lediglich um einen zeitgenössischen Beitrag zur Gesellschaftskritik handelte. Ganz anders endete der Prozess in Frankfurt am Main. Am 31. Oktober 1968 verurteilte die Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts die vier Angeklagten zu jeweils drei Jahren Haft.

Aus heutiger Sicht den Frankfurter Kaufhausbrandstiftungen einen zentralen Stellenwert beizumessen und als Umschlagpunkt von der rein verbalen zur späteren tödlichen politischen Gewalt zu sehen, geht an der Realität vorbei. Ganz anders sieht es aus, betrachtet man den anschließenden Schauprozess mit seinem gravierenden Fehlurteil etwas genauer. Alle Anträge der Verteidiger, zu denen auch Otto Schily und Horst Mahler gehörten, die darauf drangen, den politischen Zusammenhang in das Verfahren einzuführen, wurden abgelehnt. Und Staatsanwalt Griebel war der festen Überzeugung, es habe ganz offensichtlich in der Absicht der Angeklagten gelegen, nicht nur zwei Kaufhäuser, sondern die gesamte Frankfurter Innenstadt in Schutt und Asche zu legen. Dementsprechend forderte er für alle Angeklagten die Höchststrafe von sechs Jahren Zuchthaus. Die Kammer interpretierte die vorliegenden Beweise nicht ganz so frei und verurteilte sie nicht wegen vollendeter schwerer Brandstiftung, sondern »nur« wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung zu jeweils drei Jahren Zuchthaus. Juristisch angemessen wäre es gewesen, sie wegen einfacher Sachbeschädigung zu verurteilen und nach der halbjährigen Untersuchungshaft den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Aber dazu hätte das Gericht sich der Meinung Ensslins anschließen müssen, dass die Sprinkleranlage die Brandherde schnell wieder löschte und eine Gefährdung von Menschen ausschloss. Dazu aber war die Große Strafkammer wirklich nicht bereit. Der gesamte Prozess war gekennzeichnet durch eine sich an den Kommunarden Langhans und Teufel orientierende Abfolge von Ordnungswidrigkeiten, Ordnungsrufen und Ordnungsstrafen. Und in Prolls Hafttagebuch findet sich der Eintrag: »prozeSS-beginn. heil ordnung. Die angeklagten lieben sich. Die angeklagten müssen spielen, das gericht muss gewinnen.«

Sympathisant Daniel Cohn-Bendit wandte sich während der Urteilsverkündung aus dem Publikum direkt an den Richter: »Sie gehören zu uns«. Mit Reden und Rauchbomben taten die Zuschauer ihren Willen kund, mit den Angeklagten in einen Topf geworfen zu werden. Auf Anordnung des Vorsitzenden räumte ein Polizeikommando den Saal.

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) und weite Teile der APO distanzierten sich nur verhalten von der Brandstiftung. Auch die K1 zeigte, wie der »Spiegel« damals berichtete, »öffentlich Verständnis für die psychische Situation, die Einzelne schon jetzt zu diesen Mitteln greifen läßt«. Rhetorisch eleganter als Fritz Teufel kann man die Brandstiftung nicht kommentieren: »Es ist besser ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.«

Die Verteidigung legte Revision ein. Nach 14 Monaten, am 13. Juni 1969, kamen die Angeklagten vorläufig aus dem Knast. Am 10. November desselben Jahres wurde die Revision verworfen. Baader, Ensslin und Proll setzten sich nach Paris ab. Nur Horst Söhnlein trat seine Haftstrafe an.

Es waren damals, in der zweiten Hälfte der 60er Jahre und zu Beginn der 70er, bestimmte Schlüsselereignisse, die jeweils Dynamisierungsschübe der Eskalation auslösten und zumeist durch einen Schusswaffeneinsatz der Polizei gekennzeichnet waren: Die Erschießung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 durch die Polizei, der Mordversuch an Rudi Dutschke am 11. April 1968 durch einen Rechtsradikalen, die Erschießung Georg von Rauchs durch einen Zivilbeamten am 4. Dezember 1971. Jedes dieser tragischen Ereignisse hat zu einer weiteren Entgrenzung der Gewalt beigetragen, Reaktionen provoziert und schließlich zur Bildung des »Gegenstaates«, wie die RAF auch bezeichnet wurde, geführt.

Mit den in der Nacht in den Frankfurter Kaufhäusern ausgelösten Brandsätzen war nicht ansatzweise beabsichtigt, Menschen zu verletzen. Der Anschlag hat vielmehr unter anderem dem Ziel gedient, so Baader und Ensslin in der Verhandlung, »die Ruhe einer satten Konsumgesellschaft zu stören«. Man wollte gegen den Völkermord in Vietnam ein Zeichen setzen. »Wir lebten in der Furcht, daß verbale Proteste gegen den Krieg unserer Gesellschaft nur als Alibi dienen.«

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