- Wirtschaft und Umwelt
- 200 Jahre Raiffeisen
Das wichtigste Genossenschaftsprinzip ist Partizipation
Vor 200 Jahren wurde mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen einer der Gründungsväter des Genossenschaftswesens in Deutschland geboren
Das Jahr 2018 ist für Betriebe und Genossenschaftsverbände ein besonderes: Vor 200 Jahren wurde einer der Gründungsväter der Genossenschaftsbewegung in Deutschland, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, geboren. Sein Name ist auch heute noch allgegenwärtig. Die Bezeichnung der Volks- und Raiffeisenbanken geht auf ihn zurück und noch viele Raiffeisengenossenschaften bestehen bis heute. Darüber hinaus konnte sich der Genossenschaftsgedanke modernisieren und wird heute von Betriebsgründern umgesetzt. Eine dieser modernen Genossenschaften ist die Ökonauten eG aus dem brandenburgischen Biesenthal. »Wir sind Teil einer neuen Bewegung, die einen stärkeren Partizipationsgedanken hat«, betont René Tettenborn gegenüber »nd«. Er ist ausgebildeter Regionalwirt und Mitbegründer der Ökonauten eG.
Mit Raiffeisen zu den Ökonauten
Die Ökonauten betrachten sich als Genossenschaft im raiffeisschen Sinne, aber nicht als Raiffeisen-Genossenschaft. Das Selbstlose stehe auch bei Ihnen im Vordergrund, dennoch gehen sie ihren eigenen Weg. »Raiffeisen schwebt nicht die ganze Zeit über uns, aber seiner Leitidee können wir ein bisschen folgen«, sagt Tettenborn. »Die Rechtsform ist relativ eingängig, demokratisch und sie ist klar zu kommunizieren«, zählt Tettenborn die Vorteile einer Genossenschaft auf.
Raiffeisen ging es darum die Situation der Landbevölkerung zu verbessern. Dies setzte er zunächst in den Gemeinden Weyerbusch, Flammersfeld und Heddesdorf um, denen er als Bürgermeister vorstand, bevor er durch eine Veröffentlichung über den Westerwald hinaus bekannt wurde. Auch die Ökonauten wollen Landwirte und solche, die es werden wollen, unterstützen. Ein Mittel ist für sie der Landkauf. Allerdings wollen sie insbesondere den ökologischen Landbau und die regionale Vermarktung unterstützen.
Themen, die zu Raiffeisens Zeit im 19. Jahrhundert keine Bedeutung hatten. Er versuchte der großen Armut der eigenständig gewordenen Bauernfamilien zu begegnen. Neben dem Zugang zu Produktionsmitteln zu angemessenen Preisen, waren der Zugang zu Kunden und Märkten weitere Themen für ihn. Diese sind auch bei den Ökonauten zentral. Es fehlen zwar heute keine Straßen, wie zu Raiffeisens Lebzeit, aber für ökologisch produzierende Landwirte stellt sich die Frage: »Wie bekomme ich meine Lebensmittel, die zwar hochwertiger, aber auch teurer sind im Vergleich zur Discount-Ware zu den Kunden?«, berichtet Tettenborn über vergleichbare Probleme.
Aktuelle Projekte in Brandenburg
Aktuell haben die Ökonauten drei Projekte: Walnüsse aus regionalem Anbau, ein Projekt das von Mitgründerin Vivian Böllersen verantwortet und betreut wird. Die BAUERei Grube bei Potsdam, ein Projekt des Landwirts und Pädagogen Mathias. Er arbeitet auf der 3,3 Hektar großen Fläche. Ein Teil steht einem Modellprojekt im Bildungsbereich zur Verfügung. Ein weiterer Teil der Fläche wird in den kommenden Jahren wiederaufbereitet, damit darauf gesunde Lebensmittel angebaut werden können. Das Dritte ist die »Stolze Kuh« ein Hofprojekt am Rande des Nationalpark Unteres Odertal. Außerdem hatte ein Vorstandsmitglied die Gründung der Solawi Potsdam West unterstützt.
Existenzgründungen in der Landwirtschaft zu begleiten, erfordere viel Zeit und die Existenzgründer stünden vor extremen Herausforderungen, berichtet Tettenborn: »neben Land gehören die ganzen anderen Produktionsmittel auch dazu. Das stellt einen Existenzgründer natürlich vor extreme Herausforderungen. Und wir Ökonauten können nicht die Lösung für alles sein. Wir konzentrieren uns auf Land, dass wir gemeinsam mit dem Landwirt finanzieren und dann versuchen wir bei den anderen Prozessen mit unseren Netzwerken zu unterstützen.«
Zum Einen haben die Mitglieder die Möglichkeit der Genossenschaft Darlehen zu geben, die sie mit den Landwirten einsetzen kann. Es gehe um eine Risikoabwägung – die wichtigen Mitglieder dürfen nicht gefährdet werden, gleichzeitig sollen die Gelder so eingesetzt werden, dass die Landwirte sinnvoll arbeiten können. Die Darlehensvergabe war bei Raiffeisen die Grundlage für den »Verein für Selbstbeschaffung von Brod und Früchten«. Zunächst waren es wohlhabendere Bauern, die in den Verein einzahlten und ein Stimmrecht hatten. In späteren Jahren setzte er stärker auf das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe.
Raiffeisen heute: 2186 Genossenschaften
Dem deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. zufolge gibt es 2186 landwirtschaftliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften mit 1,4 Millionen Mitgliedern, die sich auf Raiffeisen beziehen. Seine Idee hat sich verbreitet und ist wirtschaftlich verankert. Das Vertrauen in die Genossenschaften ist groß. Laut einer Forsa-Umfrage verbinden 64 Prozent der Deutschen Genossenschaften mit mehr Gerechtigkeit, wie top-agrar.de berichtet. Der neuen Genossenschaftsbewegung geht es aber vor allem um Partizipation. Sie wirbt über das genossenschaftliche Prinzip »Jedes Mitglied eine Stimme« hinaus für den direkten Kontakt zwischen Erzeuger und Konsument.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.