Ein Händchen für alte Gewerke

Rund 12 000 Kunsthandwerker erhalten mit ihrer Arbeit Traditionen im Land lebendig

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie eine Macht wirken die drei Männer, die in die Instrumentenmacherwerkstatt von Andreas Sommer in der Rathenower Straße in Brandenburg an der Havel gebeten hatten, nun nicht gerade. Sie haben sich inmitten von Arbeitstischen und Regalen voller Handwerkerutensilien und altertümlicher »Schifferklaviere« versammelt. Und sie verbreiten eine gute Stimmung. Es riecht nach guter, alter Handarbeit, nach Holz, Leim und Leder. Vor allem aber die Chemie zwischen den Kollegen stimmt.

Der 40-jährige Sommer, seit fünf Jahren Inhaber des Ladens, ist Handzuginstrumentenmacher. Er baut diatonische Handharmonikas - ein neues Akkordeon der eigenen Marke »Fraton« kostet schon mal 2500 Euro. Zumeist aber repariert er gebrauchte balgbetriebene Musikinstrumente, von Handharmonikas über Akkordeons, Bandoneans bis zu Concertinas. Er hat ursprünglich an der Universität Potsdam Geschichte und Religionswissenschaften studiert und ist erst spät seiner Leidenschaft für das Arbeiten mit Holz zum Instrumentenbau gefolgt.

Mit seinen Besuchern Jan Dayß und Thomas Nitz ist er seit vielen Jahren befreundet, sie kennen sich seit ihrer Ausbildung im vogtländischen Musikwinkel, in Klingenthal. Sie kamen alle drei auf verschiedenen Wegen zum Instrumentenbau, stammen aus Brandenburg, und es eint sie, dass sie nach Jahren der Ausbildung und Praktika zurück in die Heimat wollten, um sich dort selbstständig zu machen. Sie haben sich mit anderen Instrumentenmachern vernetzt, werben füreinander und stellen sich gemeinsam auf Folkfesten, Märkten aber auch Tagen der offenen Tür in Musikschulen vor. Am vergangenen Wochenende öffneten sie ihre Werkstätten und zeigten neben 40 anderen Betrieben in Brandenburg ihr Können bei den Europäischen Tagen des Kunsthandwerks.

Jan Dayß (36) spielt nicht nur Geige, er ist auch Geigenbauer und betreibt seit 2012 seine eigene Werkstatt im heimatlichen Rheinsberg, direkt gegenüber dem Schloss. Dort bietet er Dienstleistungen rund um die Geige an, repariert, stimmt und vermietet auch Instrumente, arbeitet eng mit Musikschulen zusammen. Und er baut Violinen »nach bester vogtländischer Tradition«. Mit acht Jahren ist er zur Geige gekommen, in der Freizeit tourt er mit der Band »Quietschfiedel« durch die Nachbarorte.

Mit 32 Jahren der Jüngste im Bunde ist Thomas Nitz aus Wustrau bei Fehrbellin. Er hat mit sieben Jahren, in der 1. Klasse, Trompetespielen gelernt, spielt heute noch - auf Beerdigungen zum Beispiel. Der Metallblasinstrumentenbauer hat 2017 seinen Meister in Markneukirchen gemacht, als Werkstatt nutzt er noch Räume des Klempnerbetriebes seines Vaters. Doch er will bald etwas Eigenes, es zieht ihn nach Neuruppin. Er baut neue Kontrabassposaunen, wartet, repariert oder restauriert die unterschiedlichsten Blasinstrumente. Zu seiner wichtigsten Klientel gehören Jäger und ganze Jagdverbände.

Brandenburgs Kunsthandwerk hat einen guten Ruf und ist - im Rahmen des Handwerks sowie der Kreativwirtschaft des Landes - ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Gut 40 000 Handwerksbetriebe mit mehr als 160 000 Beschäftigten erwirtschaften einen Umsatz von fast 14 Milliarden Euro pro Jahr. Davon gehen 1,4 Milliarden auf das Konto der 12 000 Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Dort verdienen 27 000 Menschen nicht nur ihren Lebensunterhalt, sie pflegen auch traditionelle Gewerke und sorgen dennoch immer wieder für Innovationen. »Und die wirtschaftliche Bedeutung der Kreativwirtschaft im Land nimmt zu«, erklärt Wirtschaftsminister Albrecht Gerber dazu. »Die Manufakturen von Handwerkern und Kunsthandwerkern in Brandenburg stehen beispielhaft für Tradition und Authentizität und prägen die Unverwechselbarkeit der Regionen«, sagt er.

Für Tradition steht beispielhaft die Handweberei »Henni Jaensch Weber« in Geltow. Inhaberin und Meisterin Ulla Schünemann führt das 1927 gegründete Unternehmen als Familienbetrieb. Es ist einer der größten seiner Art deutschlandweit. Mit ihren beiden Töchtern arbeitet sie ausschließlich an handbetriebenen, 200 bis 300 Jahre alten Webstühlen. Sie fertigen Stoffe nach traditionellen Mustern, verarbeitet zu Handtüchern, Tischwäsche und Wohnaccessoires. Zudem bieten sie eine maßgefertigte Bekleidungskollektion an. Und: Besucher können sich bei Ulla Schünemann, Jahrgang 1954, am Webstuhl unterweisen lassen. Zur Werkstatt, die seit vielen Jahren in einem ehemaligen Gasthof arbeitet, gehören Museum und Shop sowie ein Café, das im Sommer auch im Freien empfängt.

Eher für Innovation steht die Goldschmiede »Schmuckgefährten«, die Elisabeth Baumgart im Potsdamer Stadtteil Babelsberg betreibt. Die gebürtige Neuruppinerin hat sich, gefördert vom Land, 2015 selbstständig gemacht. Seit 2016 arbeitet sie in der eigenen Werkstatt, schafft mit ihrem Mitarbeiter Majd Najjar, einem vor drei Jahren aus Aleppo geflüchteten syrischen Goldschmied, nach Kundenwunsch zarten Schmuck aus Silber und Gelbgold mit individueller Note. Mit Werkstattkursen für die ganze Familie findet sie nicht nur im Wohngebiet Zuspruch.

»Gestaltende Handwerkerinnen und Handwerker im Zusammenspiel zwischen handwerklicher Raffinesse und Design zeigen, wie lebendig und vielseitig ihr Können und ihre Produkte sind«, so der Präsident des Handwerkskammertages des Landes Brandenburg, Robert Wüst. »Sie stehen für Individualität und Kreativität.«

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