Etikettenschwindel

Das jetzt in der SPD diskutierte solidarische Grundeinkommen ist die alte Aufstockerei mit Schikane, meint Leo Fischer

Verschiedentlich war jetzt aus der SPD zu hören, doch etwas an Hartz IV drehen zu wollen - nachdem man das Thema, vom eigenen Erfolg erschrocken, erst aus dem Wahlkampf, dann aus den Koalitionsverhandlungen herausgehalten hatte. Nun überrascht ausgerechnet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, ein Altschröderianer, mit Ideen zu einem »solidarischen Grundeinkommen«: »eine notwendige Debatte, die wir führen werden«, nannte er diesen Vorgang, als Antwort auf eine entsprechende Idee des Berliner Regierenden Bürgermeisters Müller. Kommunen und Arbeitgeber haben sich dagegen ausgesprochen, die Gewerkschaften sind tendenziell dafür.

Ideen zu einem Grundeinkommen, das aus Armut und unmittelbarer materieller Not befreit, gibt es viele; besonders als »bedingungsloses« taucht es überall da auf, wo der Sozialstaat neu gedacht werden soll, wo Ideen von einer Post-Arbeits-Gesellschaft diskutiert werden. Nun ist aber niemand, der in der SPD gerade was zu sagen hat, je für ein solches Grundeinkommen gewesen. Nahles, Scholz, Heil haben Hartz IV über alle Instanzen hinweg durchgesetzt und jahrelang verteidigt. Wie kommt es also, dass nun ein Begriff wie »Grundeinkommen« in einer sozialdemokratischen Debatte auftaucht?

Ganz einfach: Es ist überhaupt kein Grundeinkommen gemeint, jedenfalls nicht im Sinne der genannten Modelle. Heil und Müller verwenden diesen positiv assoziierten Begriff, um etwas völlig anderes zu verkaufen: Arbeitslose sollen einer »gemeinnützigen Arbeit« nachgehen und dafür höhere Leistungen als beim Arbeitslosengeld II erhalten. Es ist also die alte Aufstockerei, die staatliche Subventionierung unterbezahlter Lohnverhältnisse - allerdings in einem geplanten »sozialen« Arbeitsmarkt, der noch stärker den Kontrollen und Schikanen der Vermittlungsinstanzen unterworfen sein wird.

Das heißt, der Staat zahlt jetzt nicht nur die Löhne - deren seit Jahrzehnten andauernde Stagnation ist selbstverständlich kein in der SPD behandlungsbedürftiges Problem -, sondern liefert gleich die Arbeit dazu. Da wird dann gesprochen von Müllsammeln im Park, von einfachen Pflegedienstleistungen und anderen Tätigkeiten am unteren Qualifizierungsrand. Und natürlich nicht deshalb, weil diese Arbeit sonst nicht gemacht würde; sondern weil man die dort fälligen Lohnerhöhungen abwenden möchte. Wo man jederzeit Zehntausende Langzeitarbeitslose hinschaffen kann, kann man die Löhne ruhig weiter verschimmeln lassen.

Da es sich um eine sozialdemokratische Idee handelt, ist außerdem davon auszugehen, dass diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bald in das strukturell unverändert bleibende Hartz-IV-System und den dort verankerten bürokratischen Sadismus eingebaut werden: Wer sich einem solchen »solidarischen« Arbeitsplatz verweigert, wird sicher auch bald Kürzungen am Regelsatz erfahren. Schon hat man wieder den guten alten Reichsarbeitsdienst und zur staatlich verordneten Armut noch die staatlich verordnete Zwangsarbeit. Alles unter dem Signum der Solidarität, denn wo ein Begriff ideell entwertet werden soll, da muss man Sozialdemokraten nicht groß zwingen.

Das gesellschaftliche Klima ist derzeit danach, dass einem solchen Zwangsdienst nicht viel entgegengesetzt würde. Seit Wochen randalieren Julian Reichelt und seine »Bild«-Zeitung gegen »Hartz-IV-Betrüger« - in den Leserforen Springers ist Zwangsarbeit noch das Harmloseste, was man den »Parasiten« (so das Bundesarbeitsministerium unter SPD-Minister Clement) wünscht. Es wird also dazu kommen, dass die Leute, die dem steigenden Druck der Arbeitswelt nicht gewachsen sind, nicht einmal mehr Almosen erhalten, sondern zum Hundekotsammeln rausgeschickt werden. Nichts und niemand darf dem Arbeitsdruck entgehen, auch nicht die, die bereits als wertlos erkannt und gebrandmarkt wurden. Keine Ruhe, nirgends.

So erklärt sich Heils und Müllers »solidarisches Grundeinkommen« gleich dreifach: erstens hat die SPD einen wichtigen Begriff der Debatte appropriiert; sie kann so tun, als antworte sie auf etwas, was in der Gesellschaft gerade diskutiert wird. Zweitens bleiben Hartz IV und das Lohnniveau unangetastet. Und drittens könnte diese Scheindebatte um eine Scheinreform von Hartz IV tatsächlich die Zustimmung zur SPD kurz heben, wie es im Wahlkampf unter Schulz gelungen war. Man kann nur hoffen, dass dieses billige Manöver rechtzeitig durchschaut wird. Diese Art Grundeinkommen jedenfalls kann gut und gerne weg.

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