Ein Kind des Marshallplans

In nur einem Jahrzehnt mauserte sich die unscheinbare Förderbank KfW zu einem staatlichen Global Player

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ulrich Schröder hat die KfW entschlossen vorangebracht. Schröder war einer der einflussreichsten Banker seiner Zeit und trug entscheidend dazu bei, dass die einstige »Kreditanstalt für Wiederaufbau« heute als Vorbild für den Aufbau von Förderbanken in aller Welt gilt. Genau das halten Kritiker für eines der Probleme der staatlichen Superbank.

Was wie ein Nachruf klingt, ist auch einer: Schröder starb vor einer Woche im Alter von 66 Jahren. Vor einem Jahrzehnt war er an die Spitze der KfW-Bankengruppe getreten, um das Debakel der Finanzkrise zu reparieren. So schlug die Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers mit einem Verlust von etwa 400 Millionen Euro in Frankfurt am Main zu Buche. Weitere 200 KfW-Millionen gingen auf Island unter.

Marshallplan wird 70

Im Nachhinein zahlte sich der Marshallplan aus. Unumstritten war er jedoch keineswegs. Der amerikanische Fünf-Sterne-General George Catlett Marshall stellte im Sommer 1947 als Außenminister an der Harvard-Universität ein wirtschaftspolitisches Aufbauprogramm für Europa vor. Doch nicht alle Besatzungsmächte wollten einen kapitalistischen Wiederaufbau; US-Finanzminister Henry Morgenthau wollte Deutschland sogar in einen Agrarstaat umwandeln.

Marshall setzte sich jedoch mit seinem »European Recovery Program« (ERP) durch. Diese ERP-Kredite sollten die gesamte Geschichte der KfW in Frankfurt am Main durchziehen. Der Marshallplan war nicht nur eine politische, antikommunistische Entscheidung, um Westdeutschland als Fronstaat gegen die UdSSR zu stärken, sondern auch im Sinne der USWirtschaft. Für einen reibungslosen Umbau der gigantischen Rüstungsindustrie benötigten die US-Konzerne europäische Absatzmärkte. 
Vor 70 Jahren, am 3. April 1948, verabschiedete der Kongress der USA das 12,4-Milliarden-Dollar-Programm für 16 europäische Staaten, das noch am selben Tag von Präsident Harry S. Truman in Kraft gesetzt wurde. Die tatsächlichen ökonomischen Auswirkungen des Marshallplans bleiben umstritten. Unstrittig ist aber, dass mit ERP-Geldern eine wichtige Anschubfinanzierung geleistet wurde.
Die KfW war von Anfang an als »Durchleitungsinstitut« für die Marshallplan-Gelder konzipiert worden, heißt es aus der KfW. Der eng mit der Bundesregierung und der Deutschen Bank verzahnten Bank kam dann bald auch eine – O-Ton KfW – »Schlüsselfunktion beim Wiederaufbau« zu. 
Die Kreditanstalt verwaltete die Millionen, die von den USA nur teilweise als Darlehen zur Verfügung gestellt wurden. Diese Mittel managte die KfW wie eine normale Bank. Hauptsächlich flossen die kurzfristigen Kredite in die Bereiche Energie, Kohle, Stahl. Kaum zurückgezahlt, wurden sie erneut vergeben. So wurde aus einem Schneeball eine Lawine. Noch immer verwaltet die KfW ein ERP-Sondervermögen: 2017 wurde daraus der Mittelstand mit rund sieben Milliarden Euro gefördert. hape

Am schlimmsten hatte es die Industriekreditbank IKB getroffen. Hauptaktionär: die KfW. Im Juli 2007 war die große Industriebank in eine existenzbedrohende Schieflage geraten. Die KfW-Beteiligung hatte sich - wie viele private Banken und Landesbanken auch - mit dubiosen amerikanischen Immobilienkrediten verzockt. In Frankfurt schnürte man ein Rettungspaket, an dem sich die KfW mit mehr als zwei Milliarden Euro beteiligt. Ein Fiasko. Doch unter Ulrich Schröders Führung ging es bald wieder steil bergauf. Das Geschäftsvolumen der Bank wuchs von 350 auf über 500 Milliarden Euro.

Die KfW ist ein Kind des Marshallplans. In Westdeutschland war erst wenige Monate zuvor die »Deutsche Mark« eingeführt worden, und die Bundesrepublik gab es noch gar nicht, als am 18. November 1948 die Kreditanstalt im vornehmen Gutleutviertel am Ufer des Mains offiziell gegründet wurde. Der »Wiederaufbau« im Namen war Programm: Ein Viertel des Wohnungsbestandes und ein Fünftel aller Industrie- und Gewerbebetriebe waren während des Krieges in Westdeutschland zerstört worden. Hermann Josef Abs, der vorherige Vorstand und spätere Sprecher der Deutschen Bank, prägte die staatliche Kreditanstalt entscheidend. Abs steuerte über »seine« KfW die Vergabe der amerikanischen Marshallplan-Kredite - er plante und lenkte damit die zukünftige Struktur von Industrie und Wirtschaft in der BRD.

Als Initialzündung für den Wiederaufbau - der zugleich maßgeblich von der »Deutschland AG«, einem Netz aus Industrie und Banken, geprägt wurde - genügte die schon damals eher überschaubare Summe von aktuell umgerechnet gerade einmal 1,2 Milliarden Euro. Doch durch eine Art von Schneeballsystem ließen Abs und die Deutschland AG daraus das »Wirtschaftswunder« erblühen.

In den 1950er Jahren begann die Förderbank, den Mittelstand mit günstigen Krediten zu versorgen. Das tut sie bis heute. Die KfW war auch Pionier bei der Exportförderung. Später kamen zahlreiche Geschäftsfelder hinzu: Startkapital für Existenzgründer, die Finanzierung von wärmeisolierten Hausdächern, Bafög-Darlehen an Studenten und Kredite für Wasserpumpen in Kenia. Die Bank wurde Platzhalter bei der Privatisierung von Lufthansa und Bundespost.

Auch am Regierungsprogramm »Aufbau Ost« wurde die KfW nach dem Ende der DDR maßgeblich beteiligt: In 20 Jahren wurden rund 170 Milliarden Euro als Darlehen »für den Wiederaufbau vergeben«, lobt sich die KfW. Und als aus der 2007 ausgebrochenen Finanzkrise eine globale Wirtschaftskrise erwächst, steuerte die KfW antizyklisch dagegen: »Wie nie zuvor«, heißt es in der Hausgeschichte, förderte »die KfW Unternehmen, Kommunen und Privathaushalte«.

Um der privaten Konkurrenz nicht übermäßig ins Gehege zu kommen, werden die meisten KfW-Mittel nur indirekt über Banken und Sparkassen an die Kreditnehmer vergeben. Ein angenehmer Nebeneffekt: Die Großbank kommt mit dem Personal eines Mittelständlers aus und beschäftigt lediglich 6000 Menschen. Dem Bund gehören 80 Prozent der Bank, 20 Prozent den Ländern - davon drei Prozentpunkte den ostdeutschen. Dennoch wuchs sich die KfW unter Ulrich Schröder zu einem Global Player aus: »Wir engagieren uns weltweit« - in der europäischen Wirtschaft, in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Immer auch zum Nutzen der deutschen Wirtschaft: Bereits 1960 wurde ein Erzbergwerk in Liberia für die deutsche Stahlindustrie finanziert. Um das weitmaschige, nur teilweise entwicklungspolitisch motivierte Auslandsengagement zu finanzieren, nimmt die KfW selbst Anleihen in Rubel, malaysischem Ringgit oder türkischer Lira auf. Die Macht der Bank - die Nummer zwei in Deutschland, ihre undurchsichtig weit verzweigten Geschäftsfelder einerseits und der politische Einfluss auf die »grüne« Förderbank anderseits sind Chance und Risiko zugleich. Finanzmarktexperte Rudolf Hickel fordert gegenüber dem »nd«, die Staatsbank »muss viel stärker politisiert und institutionell demokratisiert werden«. Denn sie sei der verlängerte Arm der Politik, vor allem auch im ökologischen Bereich. Die bisherige Repräsentanz des Staates in den Gremien reiche dafür nicht aus.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!