Einzige Lösung: Geschäftsaufgabe

Facebook-Chef Zuckerberg verspricht Besserung - doch er spielt nur auf Zeit

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Internetkonzern Facebook versucht gerade, einen Skandal zu überspielen. Die Daten von über 50 Millionen Nutzern sollen durch die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica für den Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Donald Trump genutzt worden sein. Um zu erklären, was vorgefallen ist und wer dafür die Verantwortung trägt, hat der US-Kongress Mark Zuckerberg zur Anhörung eingeladen. Angeblich will er Rede und Antwort stehen, doch vorerst manipulierte der Facebook-Boss die Öffentlichkeit mit einem am Montag ausgestrahlten Interview des US-Nachrichtenportals »Vox«.

Er wünsche, er könnte all die aufgetretenen Probleme »in drei oder sechs Monaten« lösen. Doch der Konzern benötige eine »längere Zeitspanne«, um sich aus »diesem Loch heraus zu graben«, sagte Zuckerberg. Natürlich hatte er auch eine Erklärung dafür, wie es zu diesen Manipulationen kommen konnte. Facebook sei einfach zu idealistisch gewesen, habe sich zu sehr auf die positiven Aspekte, also die Vernetzung von Menschen, konzentriert und dabei »einige der negativen Nutzungsmöglichkeiten« übersehen. Der aktuelle Skandal zeige, wie schlecht viele Länder auf die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft vorbereitet seien, betont dagegen die UNO-Handelsorganisation UNCTAD und sieht in der Facebook-Sache nur »die Spitze des Eisbergs«.

Facebook ist zu gescheit, um nicht zu wissen, was Cambridge Analytica ist und warum Facebook-Daten eine zentrale Rolle im Politgeschäft spielen. Hinter dem konkreten Fall steht die SCL Group, die Muttergesellschaft von Cambridge Analytica. Das ist ein Geschöpf britischer Geheimdienste. Ungeniert stellt man sich so vor: Die SCL Group biete Daten, Analysen und Strategien für Regierungen und militärische Organisationen weltweit. Seit über 25 Jahren führe man in über 60 Ländern »Programme zur Verhaltensänderung« durch. Man sei »im Bereich Verteidigung und sozialer Wandel offiziell anerkannt«.

Für die Trump-Kampagne hat man zielsicher unzufriedene, christlich-fundamentalistische, wenig gebildete und verarmte Schichten mit rassistischen Botschaften bombardiert. Auch in Europa stellte sich die SCL-Group schon in den Dienst von Regierungen oder Oppositionsgruppen. Bekannt sind Aufträge aus Lettland, Rumänien und Italien. Die EU unternimmt nichts - außer, dass Brüssel behauptet, die Manipulationsgefahr gehe von Trollen in Russland aus.

Zuckerbergs »Facebook-Idealismus« zur weltweiten Vernetzung von Menschen, unabhängig ihres Standes und ihrer Hautfarbe, mag als Gründungsvision eine Tatsache gewesen sein. Doch spätestens ab Mai 2012 änderte sich das. Da ging Facebook an die Börse. Seither ist es für den Konzern nur bei Strafe des eigenen Untergangs noch möglich, die beim jüngsten Skandal erkannten Fehler zu beheben. Denn: Milliardenfache Spionage zum Zwecke der profitträchtigen Beeinflussung von Milliarden Menschen ist das einzige Geschäft, das das Internetunternehmen interessiert. Man bietet Werbekunden ein absolut zielsicheres Werkzeug an, um Anzeigen passgenau an Zielgruppen zu bringen. Es besteht kein Unterschied, ob man Kaugummis oder politische Botschaften verbreitet.

Dabei macht das Unternehmen kaum einen Finger krumm. Es lässt die Inhalte von seinen Usern erstellen und sammelt nur all die freiwillig abgegebene Informationen. Facebook weiß - via Daumenstellung - alles über Vorlieben und Abneigungen konkreter Benutzer zu Dingen, Personen und Geschehnissen. Verbunden mit gekauften Informationen über Kreditkartennutzung weiß man, wer wann was wo kauft.

Das Identitätspuzzle wird durch die inzwischen allgegenwärtige Smartphone-Nutzung unterstützt. Facebook verfügt über die Gerätekennung, koppelt sie mit der Facebook-ID. Kaum etwas bleibt geheim. Jeder Internet-Klick jedes Facebook-Nutzers wird registriert, gespeichert, analysiert. Immer und überall. Will Zuckerberg dieses Manipulationspotenzial vor Missbrauch schützen, so geht das nur durch sofortige Geschäftsaufgabe.

Derzeit rechnet das Unternehmen mit zwei Milliarden aktiven Nutzer. Pro Monat. Gemäß den Konkurrenzgesetzen ist man zum Wachstum verpflichtet. Das stößt derzeit nur an zwei Grenzen. Erstens: staatliche Restriktionen. China oder Iran beispielsweise lassen Facebook nicht zu. Das ärgert Facebook - samt angegliederten kostenlosen Portalen wie WhatsApp und Instagram - weit mehr als das zu verlachende Fäustchen des deutschen Bundeskartellamtes. Das kritisierte zu Jahresbeginn »die Art und Weise, wie das Unternehmen persönliche Daten sammelt und verwertet« als »möglichen Missbrauch von Marktmacht«. Kartellamtspräsident Andreas Mundt wagte sogar den Satz: »Vielleicht müssen wir am Ende das Sammeln und Verwerten von Daten aus Drittquellen ohne ausdrückliche Zustimmung der Nutzer hierfür verbieten.«

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Das zweite Problem? Das Unternehmen stößt an technische Grenzen. So wie es nicht überall, wo Menschen wohnen, ordentliche Toiletten gibt, so selten sind bisweilen Sendemaste aufgestellt. Also macht sich Facebook die Drohnen-Technologie zunutze. Die Flugkörper sollen über abgeschiedenen Regionen als eine Art Hotspot kreisen. Vor knapp einem Jahr hat der speziell für diesen Zweck vom Zuckerberg-Konzern in Auftrag gegebene solargetriebene Nurflügler »Aquila« seinen Erstflug absolviert.

Möglich, dass Facebook eines Tages von einer noch reizvolleren Technologie gefressen wird. Möglich, dass Millionen Nutzer ihre selbstverschuldete Abhängigkeit erkennen und Facebook davonlaufen. Möglich auch, dass - im Vergleich zu den Internet-Konzernen schwache - Regierungen Gesetze anpassen. Doch was geschieht bis dahin? Soll man einfach Zuckerbergs Sprüchen glauben?

Eine kleine Lösung bietet Antonio García Martínez an. Er war bis zu seinem Rausschmiss 2013 im kalifornischen Silicon Valley einer der Aufbauhelfer von Facebook. Der Mann hat ein weithin mit Interesse quittiertes Buch verfasst: »Chaos Monkeys« heißt es. In einem »Zeit«-Interview bekannte er, seine Kinder vor der Facebook-Technologie schützen zu wollen. Martínez schränkt ein: »Soweit ich es kann.« Auf jeden Fall will er, dass sie »in der Realität einer kleinen Gemeinschaft aufwachsen, nicht in einer Simulation von dieser.«

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