Zu bequem für die Welt
Yo La Tengo
Ein Album improvisiert wirkenden Mäanderns von verträumter Vagheit ist es geworden. Eines, zu dem man sich nur ganz leise unterhalten möchte, wenn überhaupt. Sonst könnte man etwa die leise gesungenen melancholisch-intimen Stimmungstexte nicht verstehen: »Laid in my room to reflect my mood / Facing my feelings for a life without you / Red, orange, or yellow / Doesn’t matter, what’s the use? / Whenever I see them, there are shades of blue«.
Überzeugend getextet ist das gewiss, aber reicht das? Es wäre zumindest alles ein bisschen einfacher, wenn das 15. Studioalbum des 1984 in Hoboken, New Jersey, gegründeten Trios »Fade« hieße. Leider heißt so bereits das temperaturresistente, wärmend-sedierende, angenehm unauffällige Album der Band um die Sängerin und Schlagzeugerin Georgia Hubley und den Gitarristen und Sänger Ira Kaplan aus dem Jahr 2013.
Die neue Platte nun trägt, anders als »Fade«, ihr behutsames Verschwinden nicht im Namen. Sie heißt »There’s a Riot Going On« - auf metaphorischer Ebene ein ziemlich lauter Titel. Und was einem deshalb auffällt, ist die eigene Irritation: Was soll denn das? Thema verfehlt? Oder machen die drei jetzt seltsame Witze? Geht’s hier - bildhaft gesprochen - um den leisesten Aufstand der Welt? Den leichtesten Gegenschlag, Angriff, Aufruhr, anmutig vor sich hinglimmende Minibarrikaden, Polizisten mit Schlagstöcken aus rosa Zuckerwatte? Und wenn ja, was soll so was angesichts des politischen Wahnsinns, den allen voran Donald Trump derzeit verzapft? Wären da nicht etwas mehr Lautstärke und Biss angesagt?
Kaplan, Hubley und Bassist James McNew wissen das natürlich, sie sind ja nicht blöd. Die Namensgleichheit mit dem weltberühmten, nach Rassenpolitik, Riots, Vietnamkrieg und Paranoia schmeckenden Funk-Protest-Album von Sly And The Family Stone aus dem Jahr 1971 ist denn auch kein Zufall, sondern in erster Linie kontrastierend gemeint: der Namensvetter aus dem Jahr 2018 als extraleiser Gegensatz zu all den heftigen Verwerfungen der Welt, ein Plädoyer für mehr Liebe und Frieden. Man mag diese Idee halbwegs überzeugend finden. Oder auch nicht. Vor allem drängt sich ein Verdacht auf: Zuerst waren die Stücke da, dann wollten die Musiker irgendwie doch ein bisschen was beitragen zur politischen Lage, haben sich den Titel »There’s a Riot Going On«geschnappt und die Friedenssehnsuchtsidee obendrauf gepfropft. Bequemer geht’s nicht.
Yo La Tengo: »There’s a Riot Going On« (Matador/Beggars/Indigo)
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.