Rhea americana, das Ei und die Bohrmaschine
Mecklenburg-Vorpommern: Europas einzige wilde Nandu-Population ist kleiner geworden - die Gründe dafür sind unklar
Schwerin. Erst in der vergangenen Woche waren sie wieder aufgetaucht: Wegen mehrerer Nandus am Rand der Autobahn hatte die Polizei die A20 bei Lüdersdorf in Nordwestmecklenburg in Richtung Rostock sperren müssen. Die großen Vögel hatten einen Zaun umgangen und hätten auf die Fahrbahn laufen können. Polizisten öffneten den Wildzaun, um die exotischen Tiere zurück aufs Feld zu treiben. Erst dann konnte die Autobahn wieder freigegeben werden.
Wenige Tage später kam die Meldung, dass Europas einzige wildlebende Nandu-Population nach einer Aktion zur Geburtenkontrolle im vorigen Jahr und dem langen Winter kleiner geworden sei. Bei der jüngsten Zählung im Verbreitungsgebiet nahe des Ratzeburger Sees und des Schaalsees an der Grenze von Mecklenburg-Vorpommern zu Schleswig-Holstein sind Ende März 205 Tiere festgestellt worden, wie das Umweltministerium in Schwerin am Montag mitteilte. Im vorigen Frühjahr waren es 220 gewesen und im Herbst 244. Einer Sprecherin zufolge ist offen, ob der lange und zuletzt sehr kalte Winter eine Rolle bei der Dezimierung spielte oder ob das Anbohren von Eiern in den Nestern Einfluss auf die Fortpflanzung hatte. Dies werde noch untersucht.
Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Nandu-Monitoring, des Kreisbauernverbands Nordwestmecklenburg, Landwirte sowie Ranger des Biosphärenreservatsamts Schaalsee-Elbe zählten Ende März 144 Altvögel und 38 Jungvögel aus dem vergangenen Jahr. Bei weiteren 23 Tieren konnten der Ministeriumssprecherin zufolge Alter und Geschlecht nicht differenziert werden.
Weil Nandus (Rhea americana) erhebliche Schäden auf Raps- und Getreidefeldern verursachen und Vergrämungsversuche der Landwirte keine Erfolge zeigen, sollen auch in diesem Jahr frisch gelegte Eier der Nandus zur Bestandskontrolle angebohrt werden, wie die Sprecherin sagte. Das Biosphärenreservatsamt Schaalsee-Elbe habe zum zweiten Mal einen Antrag des Kreisbauernverbands auf Manipulation der Gelege genehmigt. Ziel der Aktion ist, dass die Nandus irgendwann merken, dass mit den Eiern etwas nicht stimmt, das Nest verlassen und kein neues Gelege anlegen. Die Eingriffe mit dem Akkubohrer waren im vergangenen Jahr zum ersten Mal genehmigt worden. Petra Böttcher vom Kreisbauernverband Nordwestmecklenburg betonte, es gehe den Landwirten nicht um das Ausrotten der Nandus in Norddeutschland, sondern um eine Bestandsstabilisierung. »Experten haben ausgerechnet, dass ohne Maßnahmen der Bestand bis 2024 auf 800 Tiere wachsen würde.«
Die norddeutsche Nandu-Population geht auf eine kleine Zahl von Tieren zurück, die zwischen 1999 und 2001 aus einer Haltung bei Lübeck ausgebrochen waren. Die flugunfähigen Vögel sind ursprünglich in Südamerika beheimatet. Jahrelang war die norddeutsche Gruppe stetig gewachsen. Bauern in der Region beklagen sich schon seit Längerem. Denn sie bekommen keine Entschädigung, wenn die Nandus ihre Felder als Futterplätze nutzen.
Nach Böttchers Worten beträgt der Schaden auf einem abgefressenen Rapsfeld 1600 Euro je Hektar. Im Frühjahr, auch jetzt wieder, zögen Gruppen von 50 bis 60 Tieren umher und knabberten die jungen Pflanzen ab. dpa/nd
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