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Vom Flüchtling zum Youtube-Star

Das Projekt »Media Residents« will Menschen mit »Publikationshintergrund« unterstützen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 6 Min.

»Was heißt das, Schloss Einstein?« Omid Feroozi sitzt Ende Februar auf der roten Fragecouch im Berliner Gemeinschaftsarbeitsplatz der Initiative »Media Residents« und runzelt die Stirn. In dem mittlerweile zwölften Teil seiner Videoreihe »Auf 1 Mate mit Omid« hat der afghanische Geflüchtete den Regisseur Nils Dettmann zu Gast. »Das ist eine Serie für Kinder und Jugendliche, die schon ewig läuft«, versucht dieser dem 19-Jährigen das Konzept der Sendung zu erklären. Omid, Drei-Tage-Bart, Basecap schräg auf dem Kopf, schnell sprechend, hakt weiter nach: »Wie wird man denn Regisseur?«

Eigentlich will der aus Afghanistan kommende Neuberliner kein Regisseur werden, sondern YoutubeStar. Auf dem Weg dorthin kann er schon einige Erfolge verbuchen: Auf seiner Couch saßen etwa die MTV-Moderatorin Wana Limar, die Kabarettistin Idil Baydar alias Jilet Ayşe und die Komikerin und Moderatorin Ariana Baborie. Doch der Weg an die Spitze ist hart, Klicks sind überlebenswichtig, Tipps unerlässlich. Die eher unbefriedigende Antwort auf Omids Frage: »Heute ist es verbreiteter, Regie zu studieren« - kurzes Zögern - »wobei man aber auch immer noch auf anderen Wegen dort hin kommen kann.«

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Die »anderen Wege« - für Flüchtlinge wie Omid sind sie oft die einzige Möglichkeit, im hart umkämpften Mediensektor in Deutschland Fuß zu fassen. Initiativen, die auch an Neudeutsche Wissen, Technik und Ratschläge vermitteln, sind hierfür essenziell. »Auf 1 Mate mit Omid« wäre ohne das von der Initiative »Gesicht Zeigen!« getragene Projekt »Media Residents« nie zustande gekommen.

Seit einem halben Jahr versucht man im Berliner nd-Gebäude, speziell geflüchteten Medienmachern eine Stimme zu geben. Dafür stehen ein gemeinschaftlicher Arbeitsraum mit Laptops und Kameras zur Verfügung, es gibt Interviewtrainings, Workshops und Beratung. Das dreiköpfige Team kann die Angebote dank staatlicher Förderung kostenfrei anbieten - die Teilnehmer kommen aus den verschiedensten Ländern. »Noch ist es so, dass in den klassischen Medien vor allem über Geflüchtete, manchmal mit ihnen, aber selten von ihnen über ihre Ansichten, Bedürfnisse und Erfahrungen berichtet wird«, sagt der Projektmitarbeiter Bastian Koch. »Das ist Teil einer latenten Diskriminierung, die bestehenden Vorurteilen auf beiden Seiten Vorschub leistet.«

Auch wenn bei den Besucherzahlen noch Luft nach oben ist, die bisherige Entwicklung des Projektes bewertet Koch als positiv. Die Geflüchteten hätten zwar wegen ihren Verpflichtungen - Deutschunterricht, Amtsbesuche, Familie - wenig Zeit, die regelmäßige Anwesenheit sei schwierig. »Trotzdem hat sich der Gemeinschaftsarbeitsraum als Treffpunkt zum Austausch und Netzwerken etabliert.« Die Technik finde bei mehreren Youtube-Kanälen und Podcasts ihren Einsatz; auch bei den Kooperationen gebe es Fortschritte. So arbeitet das Projekt »Media Residents« mit den mehrsprachigen Journalismusinitiativen »eed be eed« und »Amal Berlin« zusammen. Ende März organisierte man zudem die Konferenz »Social Voices«, Diversität in Redaktionen und Berichterstattung war das bestimmende Thema.

Ist es aber denn überhaupt realistisch, Geflüchtete in den rauen Arbeitsmarkt der Medienwelt zu vermitteln? »Wir versprechen bewusst keine Karrieren, weder als Youtube-Star noch als Journalist«, sagt Koch. »Was wir können, ist, die Herausforderungen sichtbar zu machen, die mit einer Ausbildung, einer Selbstständigkeit oder auch einer Festanstellung in Zusammenhang stehen.« Ausbildungswege sind in Deutschland kompliziert, das Beherrschen der Sprache ist unabdingbar.

Omid kennt sich praktischerweise mit Sprachen aus. Acht beherrscht er laut eigener Aussage; wie und wo er sie alle gelernt hat, weiß er aber selber nicht mehr so genau. Seit kurzem kämpft er mit dem Lokaldialekt. »Ich bin ein icke-Berliner«, sagt er stolz. Es braucht nicht viel Fantasie, um einen Zusammenhang von Omids Sprachfähigkeiten zu seinem Lebensweg zu ziehen.

Die Odyssee begann 2015, wie er erklärt. Omid ging damals vormittags in die Schule und half nachmittags im Unternehmen der Eltern. Eines Tages meldeten sich die Taliban. Die Familie müsse bei einer Entführung helfen oder man würde sie umbringen, so die Drohung. »Wir wollten keinen Kontakt zu diesen scheiß Leuten«, erinnert sich Omid. Perspektiven sah er für sich keine mehr in Afghanistan, es blieb nur die Flucht. Mit Vater und Onkel schlug der Jugendliche sich über Dubai, die Türkei und Griechenland bis nach Deutschland durch, im Sommer 2016 kam er an. Mit seinen Fähigkeiten konnte er sich schnell nützlich machen, er arbeitete als Dolmetscher für Hilfsorganisationen, organisierte Sprachcafés und unterstützte andere Geflüchtete. Für Lehrer und Jobberater war dies jedoch egal - sie hatten Omid bereits in eine Schublade gesteckt. »Ich wollte kein Friseur werden«, beschwert sich der 19-Jährige. Daten, soziale Medien, Kommunikation - davon versprach er sich so viel mehr. »Ich mag es, vor der Kamera zu quatschen«, fasst Omid grinsend zusammen.

Gequatscht wird auch viel in den Räumen von »Media Residents«, wenn Youtuber auf Fotografen, und Filmer auf Schreibende treffen. »Sowohl kulturell als auch professionell ist der Hintergrund sehr unterschiedlich. Das liegt auch daran, dass wir keine Vorgaben machen«, sagt Bastian Koch. So ist es völlig normal, dass an einem gewöhnlichen Tag etwa ein 19-jähriger afghanischer Youtuber mit einem 46-jährigen Radiojournalisten aus Aserbaidschan diskutiert. Omids Gesprächspartner ist in diesem Fall Maarif Chingizoglu, der gerade bei »Media Residents« ein Praktikum absolviert. Maarif lebt seit drei Jahren in Deutschland, davor hatte er zehn Jahre für den Radiosender »Freiheit« gearbeitet. Er berichtete dort unter anderem über die Korruption der aserbaidschanischen Präsidentenfamilie, über Streiks und Demonstrationen. 2014 führte die Polizei eine Razzia durch, der Sender wurde geschlossen, Mitarbeiter wurden verhaftet.

Maarif bereiste mit seiner Familie zu diesem Zeitpunkt gerade die EU. »Wenn du weiter schreibst, bekommst du Probleme«, teilte man ihm mit. Der Journalist sorgte sich um seine Frau und um seine zwei Töchter - in Deutschland fanden sie letztlich Asyl. Maarif lernt nun die deutsche Sprache und strebt eine Ausbildung als Web- oder Grafikdesigner an. Der Journalismus lässt ihn gleichzeitig nicht los. Unter einem Pseudonym schreibt er weiter über die Missstände in seinem Heimatland. »Ich kann ohne diese Berichterstattung nicht leben«, stellt er klar. Mit der Unterstützung von »Media Residents« konnte Maarif jüngst auch eine Reportage über das Leben von zwei syrischen Flüchtlingen drehen. Weitere Themen könnten für den Redakteur neben der Politik aber auch das Fahrradfahren oder der kulturelle Austausch sein. »Viele Menschen hier wissen nicht, wie das Leben in Aserbaidschan ist. Und umgekehrt.«

Auch Omid will in einem nächsten Projekt auf Youtube über Afghanistan aufklären und Flüchtlingen helfen, sich in Deutschland zu behaupten. »Ich weiß, wie man eine Klage schreibt und einen Anwalt findet«, so der Flüchtling. »Onlinevideos sind einfach zu verstehen und kosten nichts.« Der Videoreihe steht nun prinzipiell nichts mehr im Wege: Die Förderung von »Media Residents« wurde Ende März vorerst bis zum Jahresende verlängert. Das Team stürzte sich gleich in weitere Projekte: Bereits in den Osterferien gab es Workshops für ein neues Onlinemagazin, das über Kunst im Kontext von Flucht, Magazin und Exil berichten will.

Die Pläne gehen weit darüber hinaus. »Ein längerfristiger Ansatz ist es, das Konzept auch auf andere Städte in Deutschland zu übertragen, um weiteren Geflüchteten den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern und ihr journalistisches Werk medial zu verstärken«, sagt Bastian Koch. Das dadurch entstehende bundesweite Netzwerk von geflüchteten Medienmachern wäre nicht nur für die Beteiligten ein wichtiger Schritt - sondern auch für das Zusammenleben von alten und neuen Bewohnern in Deutschland.

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