- Sport
- Fußball in Sachsen-Anhalt
Ein Landesverband muckt auf
Folge 133 der nd-Serie »Ostkurve«: Sachsen-Anhalts Fußballer mischen sich politisch ein
Holger und Erwin schüttelten sich am Donnerstag die Hände wie gute alte Bekannte - man kennt und duzt sich im Sport. Wenig später hielten Erwin Bugar, Präsident des größten Sportfachverbandes in Sachsen-Anhalt, und Holger Stahlknecht, Innenminister des Landes, gemeinsam ein Papier in die Kameras. Scheinbar das übliche jahrelang eingeübte Zusammenspiel zwischen Sport und Politik, das es an diesem Tag in der Zentrale des Fußballverbandes Sachsen-Anhalt (FSA) zu beobachten gab.
Doch der Eindruck täuschte. Denn der Fußballverband hatte den Besuch des Innenministers sozusagen provoziert, indem er sich mutig eingemischt hatte - mit einer Verve, die für Landesverbände eher ungewöhnlich ist. Anfang April hatte der FSA ein Papier veröffentlicht, das seither für Diskussionen sorgt: Der Verband warnt darin vor dem Ausbluten ländlicher Regionen in Sachsen-Anhalt, vor dem Verschwinden von Mannschaften und ganzen Vereinen.
Seit 2010 sank die Zahl der Mannschaften um 23 Prozent auf 3331 - alarmierend. Deutlich kritisiert der Verband die bislang fehlgeschlagene Strukturpolitik der Bundeslandes: »Ganzheitliche Politikansätze der Landesregierung fehlen, obwohl Herausforderungen des demografischen Wandels seit Langem bekannt sind«, heißt es. Eindringlich appellieren die Sportfunktionäre an Stahlknecht und Kollegen, »die Dörfer und Kleinstädte benachteiligenden Strukturen des Landes zu hinterfragen«.
Um Landstriche nicht veröden zu lassen und weiter Vereine als demokratische Räume aufrecht zu erhalten, sei auch die Integration von Geflüchteten dringend nötig. »Nur Einwanderung kann angesichts des hohen Altersdurchschnitts noch eine kurz- und mittelfristige Linderung der Folgen des demografischen Wandels bewirken«, bezieht der Verband Position und fordert eine »einwanderungs- und integrationsfördernde Landespolitik«, um »glaubwürdige Integrationsangebote« machen zu können und die dafür nötigen Ressourcen bereitzustellen.
Selbst beim Thema Familiennachzug positioniert sich der FSA: »Familien das Zusammenleben zu verweigern, ist inhuman, rechtswidrig und unchristlich«, hieß es in einer ersten Version des Papiers. Zwei, drei Sätze wie dieser finden sich zwar in der leicht entschärften Version, die Stahlknecht am Donnerstag übergeben wurde, nicht mehr wieder. Doch der Tenor bleibt.
Dass ein Sportfachverband entgegen der Mär vom unpolitischen Sport konkrete politsche Forderungen aufstellt, ist außergewöhnlich. »Es ist natürlich unser Metier und auch unser Auftrag, gesellschaftliche Fragen zu beantworten«, findet FSA-Geschäftsführer Christian Reinhardt.
Längst nicht alle Akteure auf der Politik- und Sportbühne waren vom Vorpreschen der Anhaltiner Fußballer begeistert: Schon kurz nach dem Bekanntwerden des Papiers vor einer Woche kam es zu einem klärenden Telefonat zwischen Innenminister Stahlknecht und Bugar.
Bugar sagt, Stahlknecht habe ihn dabei »von der Aufgeregtheit heruntergeholt - und auch den DFB-Präsidenten«. Reinhard Grindel war wohl nicht amüsiert darüber, dass sich der kleine Landesverband offiziell in die Flüchtlingspolitik des Bundes einmischt und mit konkreter Kritik und klarer Haltung große Themen anpackt. So stellte Bugar beim Händeschütteln am Donnerstag schließlich klar: »Der FSA ist keinesfalls gewillt, sich in die Hoheitsrechte der Bundesrepublik einzumischen und die Flüchtlingspolitik zu beeinflussen. Im Gegenteil: Wir wollen gemeinsam zusammenarbeiten.«
Stahlknecht nannte die Kritik von unerwarteter Seite »frisch und frech«. Er könne sie »mit innerer Gelassenheit« aufnehmen. »Wenn wir uns nur gegenseitig auf die Schultern klopfen, haben wir Stillstand. Insofern ist es gut, wenn einer mal piekt und bohrt«, so der CDU-Politiker. Dem FSA sicherte er eine Dialogreihe zu und stellte ein gemeinsames Strategiepapier in Aussicht. »Ich bin dem Verband dankbar für das Diskussionspapier«, sagte Stahlknecht. »Es gibt uns die Chance, über den Sport Entwicklungsansätze für das gesamte Land zu kreieren.« Auch Verbandsgeschäftsführer Reinhardt gab sich nun zahm: »Der Innenminister ist jetzt unser Spielmacher, der die Bälle verteilt.«
Stahlknecht sagte, er sei generell nicht der Auffassung, dass sich Demografieprobleme durch Asyl lösen ließen. Doch auch in dieser Frage sei er gesprächsbereit, so der Innenminister. Er wolle diskutieren, inwieweit die Asylsituation demografisch genutzt werden kann. Der Minister kündigte an, bestehende Programme weiterzuentwickeln. Konkretes gibt es dann wohl erst in einem bis anderthalb Jahren - nach Abschluss der Gespräche.
Der FSA will seine viel beachtete Initiative nun auch bei anderen ostdeutschen Landesverbänden und innerhalb des DFB verbreiten. »Wir sind Vorreiter, man kann das als Pilotprojekt betrachten«, betonte Bugar. Auch andere Mitglieder des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) wollen mit Erklärungen nachziehen.
Übrigens: Sachsen-Anhalt genießt innerhalb des DFB auch eine Vorreiterrolle was den Umgang mit Rechtsextremismus in den Vereinen angeht. Gerade in ländlichen Räumen missbrauchen Neonazis verödende Strukturen in Vereinen und Gemeinden, um die Wortführerschaft in diesen Landstrichen zu übernehmen. Nicht umsonst entstand der Gedanke zu dem vorliegenden Positionspapier bei einer NOFV-Sitzung zum Thema Extremismus.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.