Todestanz, Jungbrunnen

Die großartige Schauspielerin Claudia Cardinale wird 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wahre Schönheit bei einer Frau ist die Feier des winzigen, unverwechselbaren Makels. Deshalb nannte man die Garbo die Göttliche. Sie war makellos. Kein Mensch? Eher sanfteste Dämonin einer bezaubernden, aber marmornen Unnahbarkeit. Kathedralenzauber. Nie Affekte, nur immer jene Strahlung, bei der die individuellen Merkmale vom Betrachter gleichsam erst hinzugefügt werden mussten. War sie wirklich erotisch? Claudia Cardinale war da ganz anders - schön. War? Da ist sie: diese Ungerechtigkeit, die aber nicht zu ändern ist - weil bei Diven die vergehende Zeit oft nur als Grausamkeit wahrgenommen werden kann. Am Sonntag wird C.C., 1938 in Tunesien geboren, 80 Jahre alt.

Die hohe Kultur jeder (auch autobiografisch) ehrlichen Geschichtsbetrachtung besteht in der kritischen Rechnungslegung. Das wirkt oft wie Nötigung, denn wir sehnen uns danach, etwas Gewesenes aufzurufen, ohne dabei automatisch an Vergangenheitsbewältigung denken zu müssen. Das Kino ist dieser Neigung zu Verklärung gewogen: Es bleibt so jung und so wahrhaftig, wie es uns in früher Zeit unvergesslich ins Leben hineinfuhr. Die Cardinale gehört zu dieser Zauberkraft des Mediums. Unvergesslich: die junge Witwe in »Spiel mir das Lied vom Tod«, dann Fellinis »Achteinhalb«, Herzogs »Fitzcarraldo«. Luchino Viscontis Filme: »Rocco und seine Brüder«, »Der Leopard«, »Gewalt und Leidenschaft«. Vergessene Filme? Die Frage ist immer: Wer vergisst, und wer bewahrt?

Die Cardinale in ihrer brennend frechen Südlichkeit: eine Thronende, Aufblühende noch dort, wo sie die Verstoßene spielte. Auf einem Tigerfell war sie eine Betrunkene, als sei der Rausch die ehrenwerteste Grundschule. In den sinnlichen Adel ihrer Figuren tunkte sie einen Pfeil sehr spezieller Verruchtheit, der dann wie Gift wirkte, wenn sie ihn verschoss, und das Gift war betörend: Lust und Laune und Liebe. Sie tanzte als Bürgerstochter mit einem alten Fürsten, bei Visconti war das, und es war dem Alten ein Adels-Totentanz mitten im Jungbrunnen. Noch ihre Verführkunst glänzte mit Unschuld; durch viele ihrer Filme rettete sie in der Frau das Kind. Eine Verderberin ersten Grades und aller Hitzegrade: Huren können nicht jung genug sein. Sie schaute all den verpassten Gelegenheiten, glücklich zu werden, rotzig und trotzig nach - wie eine Siegerin. Aber aus ihren wirklichen weiblichen Siegen lugten andere, geheimnisvollere Ziele hervor.

Als Mädchen war sie aus einem Schönheitswettbewerb gekommen - und ging ins Weltkino ein. Der Preis war zunächst hoch: Sie musste ihrer unschuldigen Wirkung wegen die Mutter in sich verleugnen: Mit siebzehn hatte sie einen Sohn bekommen, der eine Zeit lang nur ihr kleiner Bruder sein durfte. Nun also ist die Schöne 80. Filmbilder ziehen vorbei. Wir Vergreisungskandidaten denken heute nicht nur an die große Cardinale, wir denken an uns und an den Kern des Lebens: wie lange doch das wahrhaft Schöne schon her ist. Vorbei - und doch so ewig. Schön.

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