Prozess gegen HDP-Politiker fortgesetzt
Türkei: Der Linkspolitiker Selahattin Demirtas stand am Donnerstag erneut vor Gericht
Erneut stand Selahattin Demirtaş, langjähriger Co-Vorsitzender der HDP, in der Türkei vor Gericht. Am 11. April fand der dritte Prozesstag in Ankara statt, dem voraussichtlich noch etliche folgen werden. Seit November 2016 ist Demirtaş inhaftiert. Die Staatsanwaltschaft fordert 142 Jahre Haft, mehrmals lebenslänglich. Mehr als 600 Seiten umfasst die Anklageakte, die Unterlagen für den Prozesstag sogar über 11 700 Seiten. Allein um diese zu lesen bräuchte Demirtaş fünf Jahre und vier Monate, wie er zu Beginn des Prozesses erläuterte. Denn die Dokumente hatte er in CD-Form ausgehändigt bekommen, und im Gefängnis sind ihm nur zwei mal zwei Stunden Computernutzung in der Woche erlaubt.
Allein dies zeigt die Absurdität des Verfahrens. In anderen Fällen mit ähnlichen Vorwürfen - wie Volksverhetzung, Propaganda für terroristische Organisationen etc. - kam es bisher zu Freisprüchen, denn Beweise gibt es nicht. Daher spielt die türkische Justiz auch auf Zeit. Die Anwälte von Demirtaş erhalten kaum Zugang zu den Akten, das Besuchsrecht ist immer weiter eingeschränkt worden. Eine ausreichende Vorbereitung ist für die 100 Anwälte des Politikers unter diesen Bedingungen nicht möglich. Prozesstermine werden immer wieder verschoben.
Lange war die Medienlandschaft voll mit Berichten über die Lage politischer Gefangener in der Türkei, über die Repression und die unfairen Prozesse einer längst nicht mehr unabhängigen Justiz. Aufhänger waren in vielen Fällen der Journalist Deniz Yücel, oder auch die Journalistin Meşale Tolu - sie erwartet Ende April ein nächster Prozesstermin. Und die Freude über die Freilassung von Deniz Yücel im Februar war groß.
Doch die damit verbundene Hoffnung auf eine mögliche Verbesserung der Lage in der Türkei ist verflogen - und allmählich macht sich Bitterkeit breit. Und die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit hat spürbar nachgelassen. Der Prozesstag gegen Demirtaş am Donnerstag ist beispielsweise in keiner deutschsprachigen Zeitung erwähnt worden.
Der völkerrechtswidrige Angriff auf Afrin, die vielen toten Zivilisten, die Hunderttausenden Vertrieben zeigten einmal mehr den Charakter des AKP-Regimes. Doch auch im Inneren der Türkei geht die Repression gegen Journalisten und Oppositionelle ungemindert weiter.
Seit dem Putschversuch im Juli 2016 sind 319 Journalisten verhaftet worden, 180 befinden sich noch immer im Gefängnis. Zahlreiche Medien wurden verboten, oder gleichgeschaltet. Kürzlich erst hat ein regierungsnaher Medienkonzern die größte Mediengruppe der Türkei - die Doğan-Gruppe - übernommen.
Es gab seit dem Putsch mehr als 150 000 Entlassungen aus dem Staatsdienst. Mehr als 5800 Akademiker verloren ihren Job. Über 8000 Anhänger der HDP sind seither festgenommen worden, viele davon noch immer inhaftiert, darunter neun Abgeordnete der HDP. Gegen acht weitere wurde erneut im März Anklage erhoben, darunter die ehemalige PDS-Europaabgeordnete und jetzige HDP-Abgeordnete Feleknas Uca.
Julia Wiedemann arbeitet in der Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei als Referentin im Bereich Internationale Politik.
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