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Der Freihandel ist ein Märchen
Das Mutterland des modernen Protektionismus: Die USA praktizieren heute eine altbekannte Handelspolitik
Donald Trump wirbelt die Welt durch. Mit seinem wirren Verhalten in der Außenpolitik bereitet der US-Präsident den Weg hin zu einem Kalten-Krieg-Klima des 21. Jahrhunderts. Gepflastert ist dieser gefährliche Pfad mit Kriegsdrohungen - über Twitter - zu Konflikten, die immer explosiver werden, wie in Syrien seit 2011. Auch die Anwendung von Handelsbarrieren zum Schutz der US-Volkswirtschaft gegen China wegen vermeintlich unfairer Handelspraktiken hat in vielen Machtzentren dieser Erde die Alarmglocken schrillen lassen. Der Freihandel sei durch den Trump-Kurs in Gefahr, so die Kritik aus vielen Hauptstädten.
Nun gibt es zahlreiche Lesarten, um das Verhalten Trumps zu erklären. Sogar solche, welche die »Dummheit« des nordamerikanischen Präsidenten als Hauptgrund nennen. Die Handelsbeschränkungen werden die Weltwirtschaft tatsächlich beeinflussen. Doch ohne mögliche Kettenreaktionen dieser Beggar-thy-Neighbor-Politik (englisch: »seinen Nachbarn zum Bettler zu machen«, wörtlich: ruiniere deinen Nachbarn) - wie es in den 30iger Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war - herunterzuspielen, so müssen wir uns doch eines klar machen: Der Freihandel ist ein Märchen.
Auf den internationalen Märkten gab es noch nie eine echte wirtschaftliche Freiheit. Nicht einmal Großbritannien, das erste kapitalistisch-industrialisierte Land mit globalem Anspruch, hat den gepredigten Freihandel gelebt. Seine Flotte war das beste Argument zur Interessen-Durchsetzung in jeder Ecke der Welt. Im Namen des sogenannten Freihandels wurde das Opium in China eingeführt - mit Kanonen. Völlig offen wurden die Märkte seiner riesigen Kolonien blockiert, um das britische Textilmonopol aufrecht zu erhalten. Oder es wurden vorteilhafte Handelsabkommen durchgedrückt, um den Zugang eigener Produkte (Wolle) auf neue Märkte zu sichern, wie beim Vertrag von Methuen 1703, was in der Folge Portugal abhängig von London machte.
Auch Deutschland, inspiriert vom Ökonomen Friedrich List, hat seinen Aufstieg entgegen der damals vorherrschenden Freihandels-Ideologie mit protektionistischen Maßnahmen errungen. List hatte verstanden, dass England »die Leiter umgestoßen« hatte, nachdem es durch anfänglichen Protektionismus zur weltweiten Marktvormachtstellung aufgestiegen war, und den Freihandelsdiskurs nun propagierte, damit die anderen Nationen, vor allem die europäischen, dem Königreich diese Führungsrolle nicht streitig machen würden. War der Ausgangspunkt von List nicht die Autarkie (weil Deutschland die Tür zur Einbindung in den Weltmarkt nie zustieß), so schlug der Wirtschaftswissenschaftler die Rückeroberung des nationalen Raumes für die deutsche »Entwicklung« über eine selektive »Abtrennung« vor, verbunden mit einer engen Verknüpfung des deutschen Produktionsapparates mit dem staatlichen Protektionismus.
Auch die US-Amerikaner haben einen anderen Weg eingeschlagen. Ulysses Grant, Held des Unabhängigkeitskrieges und späterer US-Präsident (1868-1876) erklärte, dass »dass auch Amerika in 200 Jahren, wenn es von der Protektion alles bekommen hat, was sie bietet, das System des Freihandels übernehmen wird.« Ein Protektionismus, der über Jahrzehnte aufrecht erhalten wurde, zur Verteidigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen immer und immer wieder von US-Marines gestützt, wenn die nahen Nachbarn im Süden sich erdreisteten, sich diesen entgegenzusetzen. Washington hat immer auf »freiwillige« Export-Restriktionen zurückgegriffen, auf den Vorwurf des Dumpings, auf Handelsquoten, auf verschiedene protektionistische Gesetze, um die Unterwürfigkeit lateinamerikanischer Regierungen für ihren Anti-Drogen-Kampf zu »belohnen« oder jene zu bestrafen, die Maßnahmen ergreifen, die US-Investoren gefährden. Und der Trump´sche Neo-Protektionismus mit echten Mauern übertrifft die Folgen einstiger Handelsbarrieren heutzutage bei Weitem. Zu Recht also nennt der Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch die Vereinigten Staaten das »Mutterland und die Bastion des modernen Protektionismus«. Kurz: Die USA praktizieren heute eine altbekannte Handelspolitik.
Heute jedoch kollidiert dieser Kurs mit den Interessen immer mächtiger werdender Gruppen, welche ihre nationalen Grenzen zunehmend auflösen. Schauen wir tiefer, so sehen wir uns dieser Tage einer Phase der kapitalistischen Globalisierung gegenüber, die mit einer ungebremsten Kraft integriert und desintegriert, mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierern, eng verbunden mit Phänomenen des Ausschlusses breiter Teile der Weltbevölkerung. Eine Phase, in der Kriege über die Kontrolle der natürlichen Ressourcen wie Erdöl geführt werden. Ein Prozess, der einige Gesellschaftsbereiche und Regionen globalisiert, aber andere ent-globalisiert und immer mehr direkte Gewaltformen schafft, welche die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Systems hinweisen. Überall auf der Welt führt diese komplexe Logik von Öffnung und Protektionismus zu einer größeren transnationalen Integration auf Kosten einer wachsenden nationalen Desintegration. Ohne in die Falle des Freihandels zu tappen, muss die Lektion für die Völker der Welt lauten, sich im Widerstand zu vernetzen und auf dem Weg zum Pluriversum menschliche Alternativen zu errichten.
Übersetzung/Redaktion: Benjamin Beutler
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