»Das war gelogen!«

Die Göttinger Polizei deutet einen Vorfall am Rande einer linken Demonstration in ihrem Sinne um

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehr als 600 Menschen protestieren am 9. Dezember 2017 in Göttingen gegen zuvor erfolgte Razzien bei G20- Kritikern. Marian R., in dessen Elternhaus die Beamten ebenfalls Handys und Computer beschlagnahmt hatten, ist bei der Demo als Ordner im Einsatz. In der Roten Straße, wo mehrere linke Wohngemeinschaften zu Hause sind, kommt es zu einer Konfrontation: Feuerwerkskörper werden gezündet, Polizeiketten sperren die Straße ab. Marian R., der sich zwischen der Demo-Spitze und den Beamten aufhält, wird von Beamten zu Boden geschlagen. »In der Roten Straße wurden dann Beamte unvermittelt von einer größeren Gruppe Demonstranten von hinten angerannt und angegriffen«, schreibt die Polizei noch am selben Abend in einer Pressemitteilung. »Im Zusammenhang mit diesem Geschehen konnte die Polizei einen der mutmaßlichen Angreifer ergreifen und überwältigen (...) Entgegen zwischenzeitlich aufgekommener Gerüchte bzw. Behauptungen befand sich der Tatverdächtige weder während seiner Festnahme noch anschließend in bewusstlosen Zustand«, hieß es weiter in der Mitteilung.

»Das war gelogen und anderes auch«, sagt Roland Laich von der Göttinger Initiative »Bürger beobachten Polizei und Justiz«. Mehrere Behauptungen der Polizei zum Einsatz seien »nachweislich falsch«. Das könnten Videos und Zeugenaussagen belegen, welche die Initiative in der vergangenen Woche präsentierte. Tatsächlich zeigen Filmaufnahmen und berichten Zeugen, dass die Polizei nicht »von hinten angerannt und angegriffen« wurde, sondern die Straße mit Blickrichtung zur Demo-Spitze sperrte. Auf einem zehnminütigen Video ist zu sehen, wie Marian R. von Polizisten mehrere Schläge ins Gesicht erhält und zu Boden geht. Er wird am Kopf im Würgegriff hinter die Polizeikette gezogen und auf den Boden fallen gelassen. Ein Beamter kniet auf seinem Nacken. R. ringt nach Luft. Seine Hände werden mit Kabelbindern auf dem Rücken fixiert. Polizisten schleifen ihn an den Armen über die Straße und legen ihn vor einem Polizeibus ab. R.s Mutter wird nicht zu dem Verletzten durchgelassen, »Ich war definitiv nicht aufnahmefähig und die meiste Zeit weggetreten«, so der Betroffene bei dem Pressegespräch. »Ich konnte nur in kurzen Momenten die Augen aufmachen. Auch meine Hausärztin hat gesagt, das war ein bewusstloser Zustand.«

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Mit der Videosequenz konfrontiert, rudert die Polizei später ein wenig zurück. Zum Zeitpunkt der ersten Pressemitteilung »lagen dem Gesamteinsatzleiter die Schilderungen zu den Ereignissen aus der Roten Straße noch nicht vollständig vor«, so Polizeipräsident Uwe Lührig. Für Roland Laich hat das Methode: »Die Göttinger Polizei gibt immer nur das zu, was unwiderlegbar bewiesen wurde«. Darauf folge »die nächste unwahre Behauptung.« Die »Bürger beobachten Polizei und Justiz« verweisen auf ein weiteres Polizei-Zitat: »Der Ordner wurde vor Ort angesprochen von einer Rettungssanitäterin, die zu den Einsatzkräften gehörte«, hat Gesameinsatzleiter Rainer Nolte am 20.Januar im NDR-Fernsehen erklärt. Auf keinem der vorliegenden Videos, so Laich, sei jedoch eine Sanitäterin oder eine andere Person, die Erste Hilfe leistet, zu erkennen. Marian R. weiß ebenfalls nichts von einer Sanitäterin. Immer noch gefesselt, habe sich ihm erst an der Polizeiwache eine Person als Sanitäter zu erkennen gegeben mit den Worten. »Der simuliert doch nur.« In der Notaufnahme der Göttinger Uni-Klinik werden bei M. am nächsten Tag eine Platzwunde, Schürfwunden und blaue Flecken diagnostiziert.

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