Macron wirbt für ein »souveränes Europa«
Emotionale Rede des französischen Präsidenten im Europaparlament / Migration und Bürgerrechte im Fokus
Die Rede, die Frankreichs liberaler Präsident Emmanuel Macron am Dienstag im Straßburger EU-Parlament hielt, war lange erwartet worden. Schließlich wollte der französische Präsident über nichts weniger sprechen als über seine Vision zur Zukunft Europas. Bereits im September 2017 hatte er bei seiner Europa-Rede an der Universität Sorbonne 80 Vorschläge für eine umfangreiche Reform der EU vorgelegt. Auch wegen der langen Regierungsbildung in Deutschland passierte dann zunächst nicht. Nun bleibt - ein Jahr vor der Europawahl 2019 - nicht mehr viel Zeit.
In der Rede in Straßburg versuchte Macron, seinen Vorstößen Nachdruck zu verleihen. In einem rund 20-minütigen Vortrag vor den fast vollständig anwesenden Europa-Abgeordneten plädierte er unter anderem für europaweite Bürgerbefragungen, einen größeren EU-Haushalt und mehr Zusammenarbeit bei konkreten Themen wie Migration und Datenschutz.
Europa müsse dem weltweiten Chaos aus geopolitischer Bedrohung, digitalem Wandel und globaler Erwärmung eine gemeinsame Antwort entgegensetzen, sagte Macron zu Beginn seiner Rede. Die Antwort auf autoritäre Tendenzen sei die Autorität der Demokratie. Bei der EU handle es sich um ein Modell, das »stark und gleichzeitig zerbrechlich« sei, deshalb bedürfe es einer Erneuerung, die die Menschen noch vor der Europawahl 2019 im Alltag praktisch wahrnehmen könnten, so Macron. Ein zentrales Element sei dabei eine kritische Debatte mit Bürgern in den Mitgliedsstaaten der EU. Er selber werde noch am Nachmittag desselben Tages den Anfang machen: Macron wurde am Dienstag zu Bürgergesprächen in den ostfranzösischen Vogesen erwartet.
Weiterer entscheidender Faktor bei der Stärkung der EU sei, so Macron, eine sichtbare Flüchtlingspolitik. Es solle ein gemeinsamer Fonds und eine neue Agentur die lokale Arbeit der Gemeinden mit Flüchtlingen - ihre Aufnahme und Integration - fördern. Damit ging Macron auch auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, dass die Flüchtlingsaufnahme ein Kriterium für die Vergabe von EU-Fördermitteln wird. Dies könnte sich negativ für osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen auswirken, die bisher von der europäischen Regional- und Strukturpolitik profitieren, die Aufnahme von Flüchtlingen aber strikt ablehnen.
Den Vorschlag der EU-Kommission zu einer höheren Besteuerung von Internetkonzernen unterstütze er, betonte Macron außerdem. Beim Klimaschutz will er den Schwerpunkt auf eine Besteuerung von CO2-Ausstößen setzen. Beim Thema Datenschutz solle Europa weiter die Rechte der Bürger stärken.
Er setze sich außerdem für ein höheres gemeinsames Budget ein, bekräftigte der französische Präsident, was er schon im September 2017 bei seiner Europa-Rede an der Sorbonne vorgebracht hatte. Das Budget solle die europäische Souveränität konkret auszubauen, etwa im Bereich der gemeinsamen »Verteidigung der Außengrenzen«. Frankreich sei deshalb auch bereit, seinen Beitrag an die EU zu erhöhen.
In der anschließenden Debatte im Straßburger Parlament gab es parteiübergreifende Zustimmung für die von Macron geforderte Erneuerung des europäischen Staatenbundes. Über dessen Ausgestaltung gab es allerdings sehr unterschiedliche Ansichten. Während die bürgerliche Fraktion (EVP) vor allem die Rechte des EU-Parlaments stärken möchte, forderten die Rechtskonservativen (EKR) weniger Befugnisse für die EU, die Nationalisten ein »Europa der Vaterländer« und die linken und grünen Parteien ein Ende der roten Teppiche und elitärer Arroganz. Spürbaren Gegenwind aus vielen Parteien und Staaten bekam Macron wegen der französischen Beteiligung am Syrien-Einsatz, der ohne UNO-Mandat erfolgt war. Macron verteidigte die Entscheidung für diesen Einsatz vor den Abgeordnete vehement. Frankreich wehre sich in Syrien gegen den Islamischen Staat, weil es in seiner Souveränität beeinträchtigt worden sei. Sein Land handle dabei in einem legitimen multilateralen Rahmen.
Macron richtete sich in seinen Antworten auf die Wortmeldungen der Parlamentarier dann auch direkt an französische Rechtsextremisten, die zuvor ausführlich zu Wort gekommen waren. Er verstehe zwar nicht, warum sich EU-Feinde als EU-Abgeordnete wählen ließen, nehme aber die Wut der Wähler ernst. Ein Mittel, um den unterschiedlichen Auffassungen in den Mitgliedsstaaten zu begegnen, sei das bereits praktizierte »Europa der zwei Geschwindigkeiten«, bei dem einzelne Länder in bestimmten Bereichen gemeinsam vorangehen. Wichtig sei aber, dass dabei keine geschlossenen »Clubs« entstünden. Europa, so Macron, brauche schließlich nicht weniger, sondern mehr Solidarität.
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