Personalnot am OP-Tisch
Chirurgen beklagen Mangel an Pflegefachkräften auf Intensivstationen
In Berlin diskutieren seit Dienstag Mediziner auf einem Kongress verschiedener Fachgesellschaften die neuesten Entwicklungen in der Chirurgie. Die Operateure müssen sich bei der bis zum kommenden Freitag gehenden Veranstaltung auch damit beschäftigten, wie sie die Auswirkungen des Pflegenotstandes in ihrer Arbeit bewältigen können.
Denn immer häufiger werden derzeit in deutschen Kliniken Operationen abgesagt, verschoben und dann erneut angesetzt. Für Patienten kann das psychisch sehr anstrengend werden. Das Problem ist aber, dass die nötigen Pflegefachkräfte einfach nicht da sind. »Fach« ist in diesem Zusammenhang besonders zu betonen, denn es fehlen OP-, Anästhesie- und Intensivpflegekräfte. Und es genügt, dass nur aus einer dieser drei Gruppen eine Pflegerin oder ein Pfleger selbst krank ist, Urlaub hat oder überraschend gekündigt hat. Oder die Stelle einfach nicht neu besetzt worden ist - ob nun aus Bewerbermangel oder schlechter Personalorganisation.
In den Krankenhäusern findet ein »täglicher Kampf statt, welche Patienten wir operieren dürfen und können«, berichtet Matthias Anthuber, Chefarzt am Klinikum Augsburg. Die täglichen Streitgespräche zwischen verschiedenen chirurgischen Disziplinen belasteten das Klima. »Eigentlich haben wir nicht die Zeit dafür.« Denn alle haben volle OP-Programme. »Auch die Belastung für die Patienten ist enorm, wenn ihr Eingriff zwei- bis dreimal abgesagt wird«, bedauert Anthuber.
Die schwierige Wahl, wer operieren darf, treffen Koordinatoren, meist Anästhesisten. »Für die ist es aber schwer, eine Entscheidungsgerechtigkeit herzustellen.« In Augsburg versuche man nun, Pflegekräfte aus Italien, Portugal oder von den Philippinen zu gewinnen; es dauere aber drei bis vier Jahre, bis deren Integration gelungen sei.
In diese Richtung geht auch die jüngste Empfehlung des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) zur Bewältigung des drängenden Personalmangels in der Pflege. Diesem Ansatz widersprach Jörg Fuchs allerdings vehement. Der Kinderchirurg aus Tübingen, zugleich amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, meint, es sei »weit gefehlt«, nur auf angeworbene ausländische Mitarbeiter zu setzen. Damit sei ein enormer Aufwand verbunden. Nach bisherigen Erfahrungen blieben am Ende nur 15 bis 20 Prozent der Fachkräfte in den deutschen Kliniken. Andererseits gingen derzeit viele eigene kompetente Pflegekräfte in die Schweiz oder nach Norwegen - wegen der besseren Arbeitsbedingungen und Bezahlung.
Auch Andrea Lemke, Präsidiumsmitglied im Deutschen Pflegerat, warnt davor, zu sehr auf neu zu rekrutierende Kollegen aus dem Ausland zu setzen. »Wir ernten jetzt, was wir gesät haben«, resümiert die Pflegedirektorin an einem Krankenhaus in Berlin-Spandau. Lemke sieht insbesondere Politik und Krankenhausleitungen in der Verantwortung. »Es wurden über 15 Jahre Pflegekräfte abgebaut, und das fällt uns jetzt auf die Füße.« Aus ihrer Sicht muss der Beruf aufgewertet werden. Dabei gehe es gehe nicht nur, aber auch um eine bessere Bezahlung. Doch ein Programm mit diesen Zielen bräuchte drei bis fünf Jahre.
In diesem Sinne fordern der Pflegerat und die Gesellschaft für Chirurgie gemeinsam ein steuerfinanziertes Sofortprogramm für 50 000 Planstellen für Pflegepersonal, eine bessere Vergütung und einen ausreichenden Personalschlüssel, der die Schweregrade der Versorgung flexibel berücksichtige. Eine pauschale Festlegung von Personalschlüsseln hält Jörg Fuchs dagegen für realitätsfremd. Auch Lemke sieht hier ein Problem: »Wenn personelle Untergrenzen eingeführt werden, wird das zu Abteilungsschließungen führen.« Die daraus folgenden Versorgungsprobleme sollte die Politik diskutieren und das Problem nicht Ärzten und Krankenhäusern zuschieben. Für den geforderten Stellenaufbau sei ein nationaler Masterplan über einen Zeitraum von zehn Jahren nötig.
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