• Kultur
  • Echo-Kontroverse um Antisemitismus

»Rap ist Spiegel einer konservativer werdenden Gesellschaft«

Der Rapper Retrogott über den Umgang der Hip-Hop-Szene mit dem Vorwurf des Antisemitismus

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Journalist Oliver Marquart vom Onlinemagazin Rap.de hat gesagt, dass die Zeilen von Kollegah und Farid Bang »geschmacklos, aber nicht antisemitisch« seien. Wie sehen Sie das?

Das ist Haarspalterei. Wir sprechen hier über einen sehr schamlosen Umgang mit dem Gedenken an den Holocaust, und zwar vor Mainstream-Publikum. Es ist eine Anmaßung und ein Affront gegenüber den Betroffenen, jegliche Antisemitismus-Vorwürfe als »Quatsch« abzutun, wie dies Herr Marquart getan hat.

Retrogott (bürgerlich: Kurt Tallert)
Retrogott (bürgerlich: Kurt Tallert) ist Rapper, Produzent und DJ aus Köln. Unter dem Namen »Retrogott und Hulk Hodn« veröffentlichte er seit 2009 drei Alben. Nach der Echo-Verleihung, bei der die Rapper Kollegah und Farid Bang ausgezeichnet wurden, meldete sich Retrogott mit einem Facebook-Post zu Wort, der von Tausenden geliked wurde. Darin kritisiert er vor allem die seiner Meinung nach »hirnlose Verteidigungshaltung« der deutschen Hip-Hop-Szene.

Würden Sie sagen, dass es einen strukturellen Antisemitismus im deutschen Rap gibt?

In den letzten zehn Jahren hat sich Rap in Deutschland stark nationalisiert. Damit wurde er immer mehr zum Spiegel einer konservativer werdenden Gesellschaft. Die Forderung nach einem unbeschwerten Patriotismus hat sich über die letzten Jahre auch auf die Hip-Hop-Szene übertragen. Das durch die deutsche Geschichte ausgelöste Unbehagen und die Verdrängung des Holocaust erzeugen in vielen deutschen Köpfen eine diffuse Ablehnung des Judentums. Verschwörungstheoretisch angehauchte Kapitalismus- und Globalisierungs-Kritik stehen hier hoch im Kurs. Ich kritisiere vor allem eine Berichterstattung, die in ihrer blinden Verteidigungshaltung neurotisch erscheint. So eine Abwehrhaltung kann zur Identität werden. Vor fast zehn Jahren textete Samy Deluxe: »Wir haben keinen Nationalstolz/ Und das alles bloß wegen Adolf - ja toll / Schöne Scheiße, der Typ war doch eigentlich n‘ Österreicher / (…) Die Nazizeit hat unsere Zukunft versaut«. Das stand noch in der Tradition von Martin Walser. Die Zeilen von Kollegah und Farid Bang sind nun derber und geschmackloser. Dennoch sehe ich eine Kontinuität zu diesen revisionistischen Wünschen. Das Leid der Shoah der Lächerlichkeit preis zu geben, ist auch eine neue Strategie, langsam mit der Vergangenheit abzuschließen. Die Deutschen sind aber nicht in der Position, damit abzuschließen.

Woher kommt diese Verteidigungshaltung der Hip-Hop-Szene?

Manchen ist es vielleicht nicht wirklich bewusst. Den Verdacht hab ich auch manchmal, wenn zum Beispiel das Argument der Kunstfreiheit angeführt wird. Ich meine, Kunstfreiheit um jeden Preis, was hat man davon? Ich bin der Meinung, dass Kunst gesellschaftliche Auswirkungen hat - und da habe ich ja selbst keine weiße Weste. Mir ist wichtig, das zu betonen.

Oft wird argumentiert, dass Battle-Rap Tabus brechen müsse und das Bürgertum dies einfach nicht verstehe. Sie haben in Ihrem Facebook-Post die »doppelmoralische Loyalität gegenüber einer vermeintlichen Hip-Hop Szene« kritisiert. Als die Deutschrockband Frei.Wild, deren Mitglieder eine Nähe zu rechtsnationalen Parteien wie beispielsweise der FPÖ haben, 2016 einen Echo gewann, war der Skandal deutlich kleiner. Denken Sie nicht auch, dass Kollegah und Farid Bang einer größeren Kritik ausgesetzt sind, weil sie Rapper sind?

Ich denke schon. Die Problematik im Rap ist nur eine Facette gesamtgesellschaftlicher Probleme. Der ganze Klamauk über die Nazi-Zeit, etwa Bücher wie »Er ist wieder da«, stört mich. Da ich aber selbst Rap-Musik mache und die jetzigen Akteure Deutungshoheit über dieses Genre beanspruchen, sehe ich mich hier in der Lage, etwas sagen zu müssen. Die nationalistische Gefühlsduselei und das Umhertänzeln um völkische Klischees im Rock sind mir zuwider. Deshalb sind die Zeilen, um die es jetzt geht, aber nicht besser.

Wie erklären Sie sich den Riesenerfolg von Kollegah und Farid Bang?

Vielleicht das alte Rezept von Sex und Gewalt, vielleicht haben sie wirklich geniale Reimketten. Ehrlich gesagt will ich mir diesen Riesenerfolg gar nicht erklären.

Und die Tabubrüche?

Die sind wichtig. Sie tänzeln um das Tabu, kokettieren mit einer faschistoiden Ästhetik, inszenieren Führertum. All dies entspricht einem sehr abgestumpften Geist, der aber weit verbreitet sehr entfesselt auftritt in seiner Bedürfnishaltung und in seinen Forderungen nach Konsum und bedingungsloser Selbstverwirklichung. Es gibt eine gesellschaftliche Entfremdung mit wenig moralischer und viel materieller Orientierung. Das bedienen Kollegah und Farid Bang auf eine sehr sexy Art und Weise für junge Leute.

Sie kommen wie Kollegah und Farid Bang aus dem Battle-Rap. Es gehört zu Ihrem Geschäft, andere verbal fertig zu machen. Wo sind für Sie die Grenzen?

Meine Freiheit soll nicht die Freiheit anderer einschränken. Gerade was Sexismus und Homophobie angeht, bin ich sensibler geworden. Ich erfahre das aber gar nicht als Begrenzung. Es gibt ja viele andere Möglichkeiten.

In der Vergangenheit haben Sie zum Teil selbst diskriminierende Sprache benutzt. Mittlerweile haben Sie sich von den Texten distanziert. Wie ist es zu dem Wandel gekommen?

Ich habe viele Konfrontationen gehabt und durfte in bestimmten autonomen Zentren nicht spielen. Die Dialogbereitschaft in einigen Veranstaltungsorten wie dem Conne Island in Leipzig führt dazu, mich zu hinterfragen. Auch ein Aufenthalt in Chile hat mich politisiert. Dort suchen Menschen in ihrer Musik Einklang mit dem, was sie denken, fühlen und was ihren Alltag bestimmt. Das war mir aus Deutschland fremd. Hier wird vieles aus einer rein ästhetischen Perspektive bewertet. Wenn ich dort erzählt habe, dass ich Musiker bin, war die Reaktion immer: »Wow, du machst Musik, dann kannst du zu vielen Menschen sprechen. Worum geht es in deinen Texten?«. Das hat dazu geführt, dass ich angefangen habe, wirklich nachzudenken.

Trotzdem machen Sie keinen klassischen linken Polit-Rap. Warum?

Ehrlich gesagt würde mich das Etikett weniger stören als »Deutschrap«. Ich will aber nicht eindimensional moralisieren und gern ein bisschen provozieren. Ich finde, Kunst darf und sollte auch Unbehagen auslösen - aber eben nicht zerstörerisch gegenüber Anderen. Und es muss funky sein.

Und wie gehen Sie mittlerweile damit um wenn Sie Diskriminierung jeglicher Art mitbekommen, sei es vom Publikum oder von Kollegen?

Ich mache Menschen darauf aufmerksam. Mehrmals habe ich Sätze zu hören bekommen wie: »Ey, das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen schwul an, aber ich hab dich voll viel in meiner Kindheit gehört.« Solche Aussagen offenbaren viel über die Beeinflussung durch die Musik. Ich gebe den Leuten dann explizit zu verstehen, dass ich nicht mehr hinter meinen alten Texten stehe. Also eigentlich stand ich nie richtig dahinter, ich habe provokativ damit gespielt. Ich würde auch den meisten jetzigen Rappern nicht unterstellen, dass sie wirklich so denken. Ihnen ist nur nicht bewusst, dass sie durch ihr Reden bereits Handeln.

Ist jetzt ein Disstrack von Ihnen an Kollegah oder Farid Bang zu erwarten?

Nein, auf gar keinen Fall. Ich suche keine künstlerische Auseinandersetzung. Ab und zu muss ich Leuten sagen, was ich beruflich mache. Wenn ich sage, dass ich Rap auf Deutsch mache, assoziieren mich diese Leute auch automatisch mit dem, was im Mainstream als Rap verkauft wird. Es geht mir mit meiner Kritik auch darum, mein Terrain abzustecken und mich zu distanzieren.

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