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Linke hoffen auf SPD-Kursschwenk
Bartsch: Neue Parteichefin wird das Steuer bei den Sozialdemokraten nicht herumreißen können, »solange sich die SPD an Merkel und Seehofer kettet«
Berlin. Nach der Wahl von Andrea Nahles zur SPD-Vorsitzenden hofft die Linkspartei auf einen Linksschwenk der Sozialdemokraten. »Mit Nahles' Ursprung aus der sozialdemokratischen Parteilinken und ihrem Bekenntnis zu Mitte-Links verbinden nicht wenige innerhalb und außerhalb der SPD ein kleines Fünkchen Hoffnung auf die Resozialdemokratisierung der SPD«, erklärte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. Die neue Parteichefin werde das Steuer bei den Sozialdemokraten nicht herumreißen können, »solange sich die SPD an Merkel und Seehofer kettet«.
LINKEN-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sieht im schwachen Ergebnis von Nahles ein Zeichen des Widerstands. »Offenbar verbinden selbst viele SPD-Delegierte mit Nahles keinen Neuanfang und keine dringend notwendige soziale Wende«, sagte Wagenknecht. »Die Widerstände gegen Nahles in der SPD zeigen, dass es viele in der SPD gibt, die sich mit der Politik des Weiter-so nicht abfinden wollen.«
Nahles ist die erste Frau an der Spitze der SPD in deren mehr als 150-jähriger Geschichte. Ein Sonderparteitag wählte sie am Sonntag in Wiesbaden. Die Delegierten verpassten Nahles aber einen klaren Dämpfer: Sie erhielt nur eine Zustimmung von 66,3 Prozent. Ihre Gegenkandidatin, Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange, schnitt stärker ab als erwartet.
Nahles sagte im »Heute-Journal« des ZDF, sie finde ihr Ergebnis »absolut vertretbar«. Die SPD habe in den vergangenen Monaten sehr hart um den richtigen Weg gerungen. »Und offensichtlich gibt es da immer noch viele, die skeptisch sind, ob wir wirklich die richtige Entscheidung getroffen haben.« Nahles versprach: »Ich trete ab morgen den Beweis an, dass Regieren und Erneuern möglich ist.«
Lange traut Nahles indes viel zu. »Ich bin mir sicher, dass sie eine starke Parteivorsitzende sein wird«, sagte sie. Dass sie selbst überraschend 27,6 Prozent der Stimmen bekommen hat, sei aber auch eine Mahnung. »Es bestätigt das große Bedürfnis nach Veränderung, nach echter Erneuerung - also auch nach neuen Köpfen«, sagte Lange. In der »Neuen Osnabrücker Zeitung« kündigte sie an, sich auf jeden Fall weiter in der SPD zu engagieren.
Auch der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert verlangte, ernst zu machen mit der angestrebten Erneuerung. Es dürfe »jetzt keine künstliche Ruhe in der SPD einkehren«, sagte er in den ARD-»Tagesthemen«. »Das wäre der genaue Fehler, den wir jetzt machen könnten.« Nahles sagte im »Bericht aus Berlin« der ARD: »Ich glaube, wir brauchen wirklich einen Aufbruch für Debatte in unserer Partei, die ausstrahlt. Das ist es, was ich mit Erneuerung verstehe und das hat es so, glaube ich, in der Vergangenheit noch nicht gegeben.«
Der frühere Parteichef Martin Schulz wünschte seiner Nachfolgerin, »dass sie die volle Loyalität der Parteiführung bekommt«. Im Sender Phoenix fügte er hinzu: »Ich traue Andrea Nahles zu, dieses skeptische Drittel, das für Simone Lange gestimmt hat, auch zu gewinnen. Ich glaube, dazu hat sie die Kraft und auch die Ausdauer.«
Parteivize Malu Dreyer wollte das mäßige Wahlergebnis nicht überbewerten. »Ich bin überzeugt, dass Andrea Nahles genug Rückenwind hat. Auf dieser Grundlage kann sie sehr gut arbeiten«, sagte sie der »Rheinischen Post«. Parteivize Manuela Schwesig erklärte in der »Passauer Neuen Presse«: »Es ist klar, dass ein schwerer und steiniger Weg vor uns liegt. Gerade deswegen ist Andrea Nahles genau die Richtige, weil sie die Kraft und das Stehvermögen besitzt, um die Partei wieder nach vorne zu führen und zu einen.«
LINKEN-Chef Bernd Riexinger bezweifelt unterdessen, dass sich die SPD wie angekündigt erneuern wird. »Wie die Erneuerung der SPD zu einer Politik des ‘Weiter so’ in der schwarz-roten Bundesregierung passt, ist fraglich«, sagte er der »Augsburger Allgemeinen«. »Erneuerung der SPD hieße, Kurs auf soziale Gerechtigkeit zu nehmen. Doch Scholz und Nahles stellen sich in die Tradition von Basta-Schröder und beharren auf der Agenda-Politik.«
LINKE-Parteichefin Katja Kipping gratulierte Nahles und bescheinigte dem SPD-Parteitag in Wiesbaden eine »gewisse Tragik«. Die Sozialdemokraten hätten die Chance auf die Kanzlerschaft »verstolpert«, weil sie die Agenda-Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder mit der Einführung von Hartz IV im Wahlkampf nicht als historischen Fehler bezeichnet hätten. Nun bleibe zu hoffen, dass Nahles »den endgültigen Absturz der deutschen Sozialdemokratie stoppen kann«. Die SPD habe jetzt zwei Jahre Zeit zu begreifen, dass ihre Erneuerung nur in einem progressiven Bündnis für mehr soziale Gerechtigkeit liegen könne. dpa/nd
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