• Politik
  • Vor Zwangsräumung einer Wohngemeinschaft

Kafka in Wedding

Wohngemeinschaft soll geräumt werden, obwohl Prozess läuft

  • Christian Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

»Ich habe es als absolute Katastrophe erlebt, die alle Horrorstorys übertroffen hat. Es haben sich Abgründe in der Justiz aufgetan, was Mieterfeindlichkeit betrifft«, so schildert es Flo, einer der betroffenen Mieter_innen, der seien Nachnamen nicht nennen möchte. Seine Wohngemeinschaft in Wedding soll am Mittwoch zwangsgeräumt werden.

Vorangegangen war ein mehrjähriger Rechtsstreit mit den Eigentümern. Die Vier-Personen-WG bezog die Wohnung im April 2010. 2012 wurde das Haus verkauft, seit 2014 gibt es eine neue Hausverwaltung. Damit begannen die Probleme.

Die Hausverwaltung Martina Schaale wirbt damit, ein »akribisches Mahnwesen« zu pflegen und auch die »Einleitung von Räumungsklagen« zu übernehmen. Schon im 2015 wurde der WG wegen Mietrückständen gekündigt. Wegen lange zuvor angezeigter Mängel hatte diese die Miete gemindert, was die Hausverwaltung aber nicht akzeptierte. Es kam zu einem ersten Gerichtsprozess und weiteren Kündigungsschreiben.

Im weiteren Verlauf der juristischen Auseinandersetzung wurde die Wohngemeinschaft als solche in Frage gestellt. Laut dem Anwalt der Eigentümerseite handele es sich demnach nicht um eine Wohngemeinschaft. Damit sollte ihr das Recht auf Untervermietung abgesprochen werden und aus dem Wechsel eines Mitbewohners ein Kündigungsgrund gemacht werden.

Ein Richter des Amtsgerichts Wedding schloss sich dieser Einschätzung an und sprach daher von einer »Personenmehrzahl« und nennt als Kündigungsgrund »Überlassung der Wohnung an Dritte«, die laut Mietvertrag vom Vermieter genehmigt werden müsse. Der Anwalt der WG sagt, ein solcher Mietvertrag sei unzulässig. Denn es bedeute, dass die Wohngemeinschaft auch keine Besucher aufnehmen dürfte. Der absurde Prozess der WG ist in Form einer Daily Soap dokumentiert. Unter dem Titel »Verdrängt in Berlin« kann die Geschichte detailliert nachgelesen werden.

Die Hausverwaltung war auf telefonische Nachfrage zunächst nicht bereit, sich zu dem Fall zu äußern. Obwohl das Räumungsverfahren noch vor dem Bundesgerichtshof anhängig ist, soll am Mittwoch geräumt werden. »Wenn man geräumt ist, ist man raus, selbst wenn man dann Recht bekommt«, so fasst der Bewohner die vorläufige Vollstreckbarkeit aus Mieter_innen-perspektive zusammen.

Das Bündnis »Zwangsräumung verhindern«, »Hände weg vom Wedding« und die Organisatoren der Mietenwahnsinn-Demonstration rufen für Mittwochfrüh zu Sitzblockaden auf, um der Gerichtsvollzieherin den Zutritt zu verwehren. Tim Riedel von »Zwangsräumungen verhindern« hofft, dass noch etwas vom Schwung vorhanden ist und zeigt sich optimistisch: »Insgesamt ist gerade viel los und die Leute machen auch viel.« Eine Nachbarschaftsversammlung im Wedding zu der Räumung war am Freitag gut besucht und Anfang April fand vor dem Sitz der Hausverwaltung in Charlottenburg eine Protestkundgebung statt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.