- Politik
- Vor Zwangsräumung einer Wohngemeinschaft
Kafka in Wedding
Wohngemeinschaft soll geräumt werden, obwohl Prozess läuft
»Ich habe es als absolute Katastrophe erlebt, die alle Horrorstorys übertroffen hat. Es haben sich Abgründe in der Justiz aufgetan, was Mieterfeindlichkeit betrifft«, so schildert es Flo, einer der betroffenen Mieter_innen, der seien Nachnamen nicht nennen möchte. Seine Wohngemeinschaft in Wedding soll am Mittwoch zwangsgeräumt werden.
Vorangegangen war ein mehrjähriger Rechtsstreit mit den Eigentümern. Die Vier-Personen-WG bezog die Wohnung im April 2010. 2012 wurde das Haus verkauft, seit 2014 gibt es eine neue Hausverwaltung. Damit begannen die Probleme.
Die Hausverwaltung Martina Schaale wirbt damit, ein »akribisches Mahnwesen« zu pflegen und auch die »Einleitung von Räumungsklagen« zu übernehmen. Schon im 2015 wurde der WG wegen Mietrückständen gekündigt. Wegen lange zuvor angezeigter Mängel hatte diese die Miete gemindert, was die Hausverwaltung aber nicht akzeptierte. Es kam zu einem ersten Gerichtsprozess und weiteren Kündigungsschreiben.
Im weiteren Verlauf der juristischen Auseinandersetzung wurde die Wohngemeinschaft als solche in Frage gestellt. Laut dem Anwalt der Eigentümerseite handele es sich demnach nicht um eine Wohngemeinschaft. Damit sollte ihr das Recht auf Untervermietung abgesprochen werden und aus dem Wechsel eines Mitbewohners ein Kündigungsgrund gemacht werden.
Ein Richter des Amtsgerichts Wedding schloss sich dieser Einschätzung an und sprach daher von einer »Personenmehrzahl« und nennt als Kündigungsgrund »Überlassung der Wohnung an Dritte«, die laut Mietvertrag vom Vermieter genehmigt werden müsse. Der Anwalt der WG sagt, ein solcher Mietvertrag sei unzulässig. Denn es bedeute, dass die Wohngemeinschaft auch keine Besucher aufnehmen dürfte. Der absurde Prozess der WG ist in Form einer Daily Soap dokumentiert. Unter dem Titel »Verdrängt in Berlin« kann die Geschichte detailliert nachgelesen werden.
Die Hausverwaltung war auf telefonische Nachfrage zunächst nicht bereit, sich zu dem Fall zu äußern. Obwohl das Räumungsverfahren noch vor dem Bundesgerichtshof anhängig ist, soll am Mittwoch geräumt werden. »Wenn man geräumt ist, ist man raus, selbst wenn man dann Recht bekommt«, so fasst der Bewohner die vorläufige Vollstreckbarkeit aus Mieter_innen-perspektive zusammen.
Das Bündnis »Zwangsräumung verhindern«, »Hände weg vom Wedding« und die Organisatoren der Mietenwahnsinn-Demonstration rufen für Mittwochfrüh zu Sitzblockaden auf, um der Gerichtsvollzieherin den Zutritt zu verwehren. Tim Riedel von »Zwangsräumungen verhindern« hofft, dass noch etwas vom Schwung vorhanden ist und zeigt sich optimistisch: »Insgesamt ist gerade viel los und die Leute machen auch viel.« Eine Nachbarschaftsversammlung im Wedding zu der Räumung war am Freitag gut besucht und Anfang April fand vor dem Sitz der Hausverwaltung in Charlottenburg eine Protestkundgebung statt.
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