Geschichten der Entfremdung

»FilmPolska«: An diesem Donnerstag beginnt in Berlin das größte polnische Filmfestival außerhalb Polens

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer weiß schon, dass die höchste Christus-Statue der Welt im polnischen Städtchen Świebodzin steht? Und was hat das mit »FilmPolska«, dem größten polnischen Filmfestival außerhalb Polens, zu tun? Nun, in dem Spielfilm »Mug« (»Gesicht«) stürzt der Arbeiter Jacek (Mateusz Kościukiewicz) beim Bau des Riesenmonuments vom Gerüst und muss sich nach seiner Genesung ein neues Gesicht transplantieren lassen.

Die international renommierte Regisseurin Małgorzata Szumowska zeichnet für dieses Drama verantwortlich. Sie repräsentiert eine Generation polnischer Filmemacher, die sich offensiv mit den Widersprüchen ihrer Gesellschaft auseinandersetzen. Dass Polen auch ein Land mit erzkonservativen Tendenzen ist, wo in der Provinz rassistische Stammtischparolen grassieren, zeigt Szumowska in Form einer Farce. Denn Jacek hat sich mit seiner Vorliebe für Heavy Metal und seiner als »Flittchen« verschrienen Verlobten in seiner Kleinstadt kaum Freunde gemacht. Nach der Operation ist er nicht wiederzuerkennen und wird zum Ausgestoßenen. So erzählt »Mug« die Geschichte einer Entfremdung. Denn steht ein Andersaussehender nicht auch gleichzeitig für Fremde oder Andersdenkende, welche die jetzige rechtskonservative Regierung in Warschau zu unerwünschten Personen erklärt?

Die mittlerweile 13. Ausgabe des Festivals mit seinen Dutzenden von polnischen Produktionen zeigt neben neuen Filmen auch eine Retrospektive polnischer Stummfilme oder den Kamerakunst-Fokus. Der ist Malgorzata Szyłak gewidmet und unterstreicht somit die erfreulich frauenfreundliche Ausrichtung des diesjährigen Programms.

Auch der Psychothriller »Tower. A Bright Day« wurde von einer Frau, nämlich von Jagoda Szelc, inszeniert. Zur Kommunion der sechsjährigen Nina reist die ganze Familie an, darunter auch die leibliche Mutter des Kindes, die jahrelang verschwunden war. So entspinnt sich vor einer majestätischen Naturkulisse bald ein Drama um Misstrauen und Eifersucht, das mit unheimlichen Visionen schließlich ins Fantastische übergeht.

Mystisch und geisterhaft war auch der auf Jiddisch gedrehte polnische Klassiker »Der Dybbuk« (1937). Inszeniert wurde der von dem legendären jüdischen Totengeist handelnde Film von Michał Waszyński, der als Mosche Waks in einem ostpolnischen Schtetl geboren wurde. Er überlebte den Krieg als Mitglied der polnischen Streitkräfte in der Sowjetunion und ließ sich 1945 als Filmregisseur und -produzent in Italien nieder. Der hochspannende Dokumentarfilm »Der Prinz und der Dybbuk« von Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski eröffnet das Festival und schildert das bewegte Leben eines menschlichen Chamäleons.

Waszyński sonnte sich im Glamour von Diven à la Sophia Loren, um die Dämonen seiner Vergangenheit - seine gesamte Familie wurde Opfer des Holocaust - zu verdrängen. Doch diese holten ihn stets wieder ein. Dass der zum Katholizismus konvertierte Waszyński - in Italien gab er sich als Prinz aus - den berühmtesten jiddischen Film aller Zeiten drehte, wirft ein Licht auf einen Mann, der sich in den Wirren des 20. Jahrhunderts eine Nische zwischen Illusion und Realität suchte.

»FilmPolska«, vom 25. April bis zum 2. Mai in den Berliner Kinos Babylon, Krokodil, Arsenal und fsk.

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