Kein Betrieb ohne Störfälle

BUND-Studie: Deutsche Atomkraftwerke sind nicht sicher, die Bevölkerung im Falle eines Falles schlecht geschützt

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit die ältesten Kernkraftwerke Deutschlands infolge der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima abgeschaltet wurden und für die noch laufenden ein absehbares Ende beschlossen wurde, ist es stiller um die Gefahren der Atomkraft geworden. Proteste gibt es gegen die maroden grenznahen belgischen und französischen AKW, doch auch die deutschen Meiler sind nicht sicher. Das zeigte eine Studie der Physikerin Oda Becker im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach liegt in den AKW Emsland, Grohnde, Brokdorf, Philippsburg 2, Isar 2, Neckarwestheim 2 und Gundremmingen C einiges im Argen.

»Leider sind der Politik die wirtschaftlichen Interessen der Kraftwerksbetreiber wichtiger als der Schutz der Bevölkerung«, kritisierte Becker. Es sei erschreckend, was für Probleme sich gezeigt hätten: Von falschen Ventildichtungen an Armaturen über Bedienfehler beim Testen eines Notspeisenotstromdieselaggregats über Schadsoftware auf einem USB-Stick reiche die Palette der meldepflichtigen Ereignisse 2016/2017 - und die seien meist als nicht sicherheitsrelevant eingestuft worden.

Doch in der Summe könnten auch kleine Unregelmäßigkeiten zu großen Problemen führen. Zumal periodische Sicherheitsüberprüfungen, wie sie laut Atomgesetz alle zehn Jahre vorgeschrieben sind, wegen der verbleibenden geringen Restlaufzeit der hiesigen Meiler nicht mehr stattfinden und Störungen oft nur durch Zufall entdeckt werden.

Auch betrachteten die Betreiber Störfälle meist einzeln und nicht im Kontext alternder Bauteile, überlasteter Beschäftigter und wechselnder Rahmenbedingungen, kritisierte Becker. So wurde bei einer Revision im Februar 2017 festgestellt, dass die Brennstäbe des schleswig-holsteinischen Reaktors Brokdorf deutlich stärker oxidierten, als sie sollten. Gründe waren laut Atomaufsicht des Bundeslandes vermutlich eine Leistungserhöhung sowie der immer öfter praktizierte Lastfolgebetrieb, bei dem die Stromproduktion schnell gedrosselt oder erhöht wurde, je nachdem, wie viel Windstrom im Netz war. Dass solche Betriebsveränderungen Auswirkungen auf Bauteile hätten, sei nicht bedacht worden, so Becker.

Neben den Problemen, die aus falscher Bedienung oder Alterung entstehen, gibt es laut der Studie noch andere Risiken, gegen die die Bevölkerung kaum geschützt ist. Naturkatastrophen könnten nie ausgeschlossen werden, noch unberechenbarer wären terroristische Angriffe - entweder von innen heraus oder von außen, etwa mit Flugzeugen oder Bomben. Sicherheitsmaßnahmen wie Vernebelungsanlagen oder Abfangjäger reichten nicht, um die Menschen zu schützen, so Becker.

»Die Politik geht davon aus, dass ein solches Szenario sehr unwahrscheinlich ist und die getroffenen Maßnahmen deshalb ausreichen. Wegen der hohen Bevölkerungsdichte wäre aber der potenzielle Schaden sehr hoch, deswegen kann man nicht von einem geringen Risiko sprechen.« Auch die Katastrophenschutzpläne seien unzureichend, so Becker. »Wenn klar ist, dass im Falle eines GAUs nur ein Umkreis von fünf Kilometern überhaupt evakuiert werden soll und selbst das wohl nicht schnell genug, braucht man keine weiteren Argumente für den sofortigen Atomausstieg.«

Den fordert auch der BUND: »Die Risiken der Atomkraft sind zu groß und der Bevölkerung nicht länger zumutbar«, sagte BUND-Chef Hubert Weiger. Auch bremsten die laufenden AKW die Energiewende, Windräder müssten abgeschaltet werden, weil zu viel Strom aus fossilen Quellen im Netz sei. Der Ausstieg sei zwar beschlossen, aber die Politik habe nur noch bis Ende Juni Zeit, das Atomgesetz so zu ändern, dass es verfassungsgemäß sei. Weiger bezweifelte, dass der Termin einzuhalten ist, und selbst dann wäre offen, wie ein Entschädigungsgesetz ausfallen müsste, damit die Kraftwerksbetreiber nicht wieder vor Gericht zögen und weitere milliardenschwere Forderungen an die Bundesrepublik stellten.

Zudem müsse geklärt werden, was mit den Reststrommengen passiere, die die Konzerne zugesichert bekommen hätten und die verhinderten, dass AKW früher stillgelegt werden könnten. Weiger forderte ein sofortiges Ende weiterer Strommengenübertragungen zwischen Kraftwerken, auch wenn das eine höhere Entschädigung für die Energiekonzerne bedeute. Derzeit werde im Wirtschaftsministerium aber schon wieder über Laufzeitverlängerungen für einzelne Kraftwerke diskutiert. Das sei eine fatale Entwicklung, der mit öffentlichem Druck entgegengetreten werden müsse, so Weiger.

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