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- »A Beautiful Day«
Blut und Wasser
Das Melodrama »A Beautiful Day« ist ein echter Film noir und reiner Stil
Das ist einer dieser Filme, von denen man schon vorher genug hat. Dann sieht man hin und kann nicht mehr genug bekommen. Vorurteile sind ja ganz nützliche Filter, manchmal, und hier fällt die Einordnung leicht: Harter Mann, kleines Mädchen - ein Thema, so abgegriffen und ausgepresst, dass allein die Aufzählung der betreffenden Filmtitel diese Zeitungsseite füllen könnte. Der an der Wirklichkeit beschmutzte Mann - ein Auftragsmörder, Gangster, Geheimagent - trifft auf die Reinheit des kindlichen Mädchens; Sexualität schwingt mit und soll es auch, aber sie ist verboten. Indem er das Mädchen rettet und sexuell zurückhaltend bleibt, ergreift er die Chance, es spät im Leben noch einmal anders zu machen. Nicht selten opfert er sich am Ende, was in die Logik passt. Regression ist der Kadaver der Utopie, und totgeritten ist das Sujet schon lange.
Allerdings taugt jenes Vorurteil nicht mal als Vorurteil. Die Zugriffe auf das vorderhand platte Thema sind verschieden. Da gibt es Solides wie »Man on Fire«, das immerhin zu unterhalten versteht, Unwichtiges wie »Taken«, das sich furchtbar wichtig nimmt, regelrechten Unschlitt wie »Hitman« oder ein Machwerk wie »Commando«, das zu schlecht ist, um nicht schon wieder faszinieren zu können. Und dann ist da natürlich »Léon - Der Profi«, ein als Actionfilm getarntes Charakterdrama, das einen jener raren Momente markiert, in dem ein Kunstwerk tatsächlich die Grenzen eines Genres von innen geweitet hat. Vielleicht wird sich Ähnliches einmal über »A Beautiful Day« sagen lassen, denn hier liegt der Akzent nun ganz auf der Hauptfigur, dem Faustarbeiter Joe, gespielt von Joaquin Phoenix, dem die Autorin Lynne Ramsay die Rolle regelrecht auf den robusten Leib geschrieben hat. Die Beziehung zum erretteten Mädchen ist fast beiläufig und überhaupt der physische Anteil des Plots nur Gelegenheit, einen rätselhaften Charakter zu besichtigen. Joes Einsamkeit, die sparsame Rede, sein ruhiges Schreiten, die ganze Stimmung erinnert an Jim Jarmuschs »Ghost Dog«, abzüglich der albernen Martial-Arts-Romantik. »A Beautiful Day« ist reiner Stil, ein echter Film noir.
Joe verdient seinen Unterhalt damit, entführte Kinder zu befreien. Er gehört zur Unterwelt, arbeitet mit ihren Mitteln, aber im Auftrag der Unschuldigen. Der Hammer, sein bevorzugtes Werkzeug, ist wie eine Verlängerung seines wuchtigen Körpers. Das ist seine Art Kampf, denn dass er lebt, verdankt er seiner Robustheit. Joes Kindheit nämlich ist selbst geprägt von dieser Gewalt, die er heute zugleich bekämpft und nutzt. Die Narben auf der Haut bedeuten auch die Narben darunter. Immer wieder schieben sich kunstvoll inszenierte Rückblenden zwischen das Geschehen: Den Kopf in der Plastiktüte, zählt Joe die Sekunden runter; ein Vater, dessen Gesicht nie zu sehen ist, streift drohend durch das Haus, das der Sohn noch heute bewohnt. Kein Wort der Erklärung, Joe schweigt oder redet, um nicht reden zu müssen. Obgleich sein Haar schon erstes Grau zeigt, lebt er mit seiner Mutter zusammen; bei ihr ist er liebevoll, kindlich und fürsorglich. Sie singen zusammen, während sie das Silber polieren, er verdreht vor dem Kühlschrank die Augen über ihre Vergesslichkeit und macht Witze, während sie Hitchcocks »Psycho« guckt. Eines Tages erhält Joe einen Auftrag; die Tochter eines Senators soll befreit werden. Die Befreiung hat Folgen, für den Senator, die Tochter, für Joe und sein Umfeld. Alles läuft auf den Showdown zu, und dann spielt der gar keine Rolle. Es geht nicht darum, wie Joe die bösen Männer aus dem Weg räumt, es geht darum, was das für ihn bedeutet. Die eigentliche Erzählung ist nicht die äußere Begebenheit.
Unerbittlich ist die ruhige Erzählweise. Jede Szene, jede Geste, jeder Blick bekommt Zeit. »A Beautiful Day« ist ein visuelles Meisterwerk, das alle Mittel nutzt. Die ungewöhnliche Perspektive, das Spiel mit Schärfe und Unschärfe, Farben, Formen, Spiegel, Blut und Wasser, Nahaufnahmen, intelligente Schnitte.
Da ist etwa eine Szene, in der man Joes Füße den Raum betreten sieht, neben ihnen eine Kommode. Als sie aus dem Bild gehen, verschiebt sich der Fokus der Kamera vom Fußboden auf die Kommode. Fast unmerklich, aber er gerade so, dass man es mitbekommt. Gleich danach tritt Joes untere Hälfte ins Bild zurück und an die Kommode. Die Kamera hatte den Blick der Zuschauer durch eine minimale Justierung auf die Kommode vorausgeschickt. Und wenn sich an die erwähnten Scherze über »Psycho« eine Szene anschließt, in der Joe vor der Badezimmertür mit dem Messer spielt, während Mama drinnen duscht, tritt zur überwältigenden Bildästhetik nadelstichartig Humor hinzu. Der Film ist voller solcher Kunstgriffe, Szene für Szene für Szene.
Diese Tugend allerdings kostet. Da jede Sequenz ihre ganz eigene Wirkung macht, entsteht zunächst der Eindruck, als sei der Film eine Sammlung von Bruchstücken. Dass wenig geredet wird, und wenn, dann nur gestisch - man spricht im Geschehen, nicht darüber -, verstärkt diesen Eindruck ebenso wie die vom filmerprobten Jonathan Greenwood komponierte Musik, in der der Spalt zwischen gestischer Funktion und musikalischer Schönheit gekonnt geklammert ist, die aber eben daher situativ bleibt. Nur ist »A Beautiful Day« nicht fragmentarisch, weder im Plot noch auf der Bedeutungsebene.
Das Drehbuch ist einfach, aber tadellos. Wir sehen einen stringenten Fünfakter: Joe bei der Arbeit und privat (Exposition) erhält einen Auftrag und führt ihn aus (ansteigende Handlung), die bösen Jungs schlagen zurück (Klimax), Joe räumt auf (fallende Handlung), Joe und Nina im Diner (Lösung). Da wird nicht bloß mit Wirkungen gespielt. Joes Erinnerungen deuten an, dass er sich mit Gewalt gegen den Vater hat durchsetzen müssen. Das Leben mit seiner Mutter ist gewählte Freiheit, doch sie ist es auch, die ihn in der Vergangenheit festhält. Joe muss weiterhin Kämpfer sein, ihr Beschützer wie der der entführten Kinder. Er kann nicht frei werden, weil er immer noch Befreier ist. Der Tod seiner Mutter schließlich ist schmerzvoll, aber auch eine Befreiung. Das visuelle Schmuckstück des Films, die Bestattung im Wasser, erinnert kaum zufällig an eine Taufe. Die wiederkehrende Tüte über Joes Kopf war nicht nur Tortur, ihn widerstandsfähig zu machen, sie wurde ihm Mittel, sich vom Leben zurückzuziehen. Wie er damals in sie geflohen ist, als der Vater die Mutter misshandelte, so flieht er jetzt in sie vor der eigenen Gewalt. Er war niemals wirklich im Leben, auch so könnte man den originalen Titel »You Were Never Really Here« verstehen. In Jonathan Ames’ literarischer Vorlage spielt die Beziehung zur Mutter keine Rolle. Diese Facette hinzugefügt zu haben, ist eines der vielen Verdienste Ramsays. Dadurch erst erhält die Fabel Bedeutung und wird Joe zur entschlüsselbaren Figur.
In diesen Zusammenhang lässt sich auch der irritierende Schluss setzen. Joe vollzieht im Diner eine unerhörte Handlung, und das Geschehen fährt fort, als sei gerade nichts geschehen. Was wirkt, als habe die Regie zwei alternative Enden aneinander montiert, lässt dem Zuschauer die Wahl, ob er die eine oder die andere der beiden Varianten für innerlich bzw. äußerlich halten, ob er mithin den Tod als Befreiung oder die Befreiung als Tod verstehen soll.
»A Beautiful Day« [»You Were Never Really Here«], Großbritannien 2017. Regie/Drehbuch: Lynne Ramsay; Darsteller: Joaquin Phoenix, Ekaterina Samsonov, Judith Roberts. 90 Min.
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